Volles Zitat eines Links. Das Deutschlandlied wirdim Zusammenhang mit anderen Liedern des 20. Jahrhunderts behandelt:
http://www.uni-koeln.de/ew-fak/Mus_volk ... t/20Jh.htm
Das 20. Jahrhundert in Liedern
(Seminar Probst-Effah, Wintersemester 2005/06, Universität Köln)
(Das Skript basiert auf einem Teil der im folgenden genannten Literatur und auf Beiträgen, die im Rahmen des Seminars entstanden.)
Inhalt:
Das „Lied der Deutschen“
„Horst-Wessel-Lied“
Die Nationalhymne der DDR („Auferstanden aus Ruinen“)
Die „Internationale“
„Lili Marleen“
Zwei „Pflichtlieder“ aus dem NS-Repertoire
Das „Moorsoldatenlied“
Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung:
„If you miss me at the back of the bus“ (Charles Neblett);
Bob Dylan, „Hurricane“
Antikriegslieder: „Zogen einst fünf wilde Schwäne“;
Pete Seeger: Where have all the flowers gone“;
Bob Dylan: „Blowin’ in the Wind“
Ton Steine Scherben: „Keine Macht für Niemand“
Elton John
Das „Lied der Deutschen“
Literatur:
U. Enzensberger: Auferstanden über alles. Berlin 1986
Birgit Glaner: Art. „Nationalhymnen“. In: Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG)
Ulrich Günther: „...über alles in der Welt“? Neuwied u. Berlin1966
Hans Jürgen Hansen: Heil Dir im Siegerkranz. Die Hymnen der Deutschen. Heidelberg / Oldenburg 1978
U. Greve: Einigkeit und Recht und Freiheit. Kleine Geschichte des Deutschlandliedes. Heidelberg 1982
Guido Knopp / Ekkehard Kuhn: Das Lied der Deutschen. Schicksal einer Hymne. Berlin, Frankfurt am Main 1988
Hermann Kurzke: Hymnen und Lieder der Deutschen. Mainz 1990
Nationalhymnen. Texte und Melodien. Stuttgart 1982
Nationalhymnen. 21 neue Arrangements. Mainz etc.: Schott, 1988
Ulrich Ragozat: Die Nationalhymnen der Welt. Ein kulturgeschichtliches Lexikon. Freiburg i.Br. 1982
Fritz Rumler: Wigman, Walstatt, Walhall. Die bizarre Welt der Nationalhymnen. Spiegel Spezial 6/1999. S. 66
Hans Tümmler: Deutschland, Deutschland über alles. Köln 1979
Tonträger:
Deutschlandlied, gesungen von Heino und Chor. EMI Electrola GmbH 1978 (unverkäufliche Sonderauflage)
Geschichte in Liedern. Deutschland im 20. Jahrhundert. CD + Buchpublikation. Stuttgart 1997 (RAAbits Geschichte)
10 Jahre Schlagerparade 1941–1950“. 10 LP. Deutsche Grammophon Gesellschaft mbH / Polydor Mono 2630137 (auf LP 8 „Trizonesien-Song“)
CD „Hymnen der Deutschen“. Stimmen des 20. Jahrhunderts. Deutsches Historisches Museum, Deutsches Rundfunkarchiv 1998
Videocassette:
Das Lied der Deutschen. Vom Umgang mit unserer Hymne. Dokumentation von Ekkehard Kuhn. ZDF, 19.05.1986
Nationalhymnen
Definition: „Die Nationalhymne ... ist ein in der Regel mit Text unterlegtes Musikstück, das durch staatliches Dekret zum nationalen Symbol erhoben wird ... Zusammen mit der Staatsflagge und dem Staatswappen repräsentiert sie die nationale Souveränität eines Landes. Die Nationalhymne wird bei staatlichen, sportlichen und anderen öffentlichen Anlässen gesungen bzw. gespielt“ (Glaner, Sp. 16). Oft erklingen Nationalhymnen auch zum Sendeschluss der Rundfunkanstalten, in manchen Ländern auch am Ende von Theater- und Kinovorstellungen.
Geschichte
Der Begriff „Hymne“ bedeutet ursprünglich den rituellen Opfer-, Fest- und Lobgesang zu Ehren einer Gottheit. Später gab es auch säkularisierte Hymnen (oder Oden), die Volkshelden oder weltliche Herrscher priesen. Mit dem beginnenden Nationalismus im 19. Jahrhundert „wird schließlich auch das Vaterland zum quasi-göttlichen Gegenstand der gesungenen Verehrung“ (Glaner, Sp. 16). Das erste deutschsprachige Lied, das die Ehre des Vaterlandes verherrlicht, wird bereits Walther von der Vogelweide zugesprochen („Ir sult sprechen: willekomen“, um 1200). Vorläufer der Nationalhymne sind auch religiöse Kampflieder wie Luthers reformatorisches „Ein feste Burg“ (1529). Als älteste Nationalhymne gilt „Wilhelmus von Nassouwe“ (1568), das seit 1932 offizielle Staatshymne der Niederlande ist.
Als wegweisend bei der weltweiten Verbreitung von Nationalhymnen gelten die französische „Marseillaise“ und das englische „God Save the King / Queen“. Die englische Hymne, deren Urheberschaft noch nicht genau erforscht ist und die erstmals 1745 in der Öffentlichkeit erklungen sein soll, wurde sehr populär und in der ganzen Welt von zahlreichen anderen Staaten adaptiert. Sie war u.a. Vorlage für das 1793 von Balthasar Gerhard Schumacher gedichtete „Heil Dir im Siegerkranz“ (erstmals veröffentlicht 1793).
Die französische „Marseillaise“ galt als Prototyp der Revolutionshymne. Sie soll in der Nacht vom 24. Zum 25. April 1792 entstanden sein, als die Nachricht der Kriegserklärung Frankreichs an die Monarchien Deutschland und Österreich Straßburg erreichte. Inspiriert von der patriotisch aufgeheizten revolutionären Atmosphäre, schrieb der Pionierhauptmann und Gelegenheitsmusiker Cl. J. Rouget de Lisle Melodie und Text des „Chant de guerre pour l’armée du Rhin“, das am folgenden Tag uraufgeführt wurde und sich schnell verbreitete. Das Lied begleitete Truppen aus Marseille auf ihrem Weg nach Paris und erhielt daher seinen Namen. Die „Marseillaise“ diente zahlreichen Ländern in der Phase nationaler Selbstbehauptung als Vorbild. Im Laufe des 20. Jahrhunderts erhielten viele Länder ihre staatliche Unabhängigkeit – so die ehemaligen Kolonien oder die Länder des zerbrochenen „Ostblocks“ – und wollten nun ihre eigenen musikalischen Staatssymbole. Bemerkenswert ist, daß außereuropäische Nationalhymnen nicht auf der musikalischen Tradition des jeweiligen Landes basieren, sondern westeuropäische Melodietypen adaptieren. Prägend war dabei oft der Stil der durch die ehemalige Kolonialmacht importierten Militärmusik.
Das „Lied der Deutschen“
Hier handelt es sich eigentlich um ein Lied, das vor dem 20. Jahrhundert entstanden ist. Nationalhymne wurde „Deutschland, Deutschland über alles“ jedoch erst im 20. Jahrhundert.
Im Januar 1797 entstand die österreichische Kaiserhymne („Gott erhalte Franz den Kaiser“). Als napoleonische Truppen auf Wien vorrückten, schrieb Joseph Haydn (1732-1809) die Melodie im Stil der englischen Hymne, die er auf seiner Londonreise (1790-1795) kennengelernt hatte. Baron Gottfried van Swieten leitete die bereits als Nationalhymne konzipierte Komposition an den Wiener Hof weiter, wo Innenminister Graf Franz von Saurau den Theologieprofessor Lorenz Leopold Haschka mit der Textdichtung beauftragte. Am 12. Februar 1797 wurde die Hymne anlässlich des Geburtstages von Kaiser Franz II. am Wiener Hoftheater uraufgeführt. Mit dem Zusammenbruch der Monarchie 1918 wurde die Kaiserhymne obsolet.
Haydn erweiterte die von ihm komponierte Hymne später zu dem Variationensatz (Adagio) seines „Kaiserquartetts“ in C-dur (op. 76, Nr. 3).
Der Textdichter des „Liedes der Deutschen“ war August Heinrich Hoffmann von Fallersleben ( 1798-1874). Das „von Fallersleben“ war kein Adelstitel, sondern diesen Zusatznamen hatte Hoffmann sich selbst gegeben, und zwar nach seinem Geburtsort, wo er am 2. April 1798 zur Welt gekommen war: Fallersleben in der Nähe von Braunschweig.
Seit 1823 lebte Hoffmann in Breslau (Schlesien). Er hatte dort seit 1830 eine Professur für Germanistik – ein damals neues Fach, begründet von Jakob Grimm. Hoffmann hatte sich nach einer Begegnung mit Grimm dem Studium der deutschen Literatur und Sprache zugewandt. Er beschäftigte sich nicht nur wissenschaftlich mit Sprache und Literatur, sondern sammelte auch Volkslieder und schrieb selbst Verse im volksliedhaften Stil („Kuckuck, Kuckuck ruft’s aus dem Wald“, „Alle Vögel sind schon da“, „Morgen kommt der Weihnachtsmann“, „Winter, ade!“).
Hoffmann engagierte sich in den Burschenschaften für eine Demokratisierung Deutschlands. In den Burschenschaften hatten sich seit 1815 Studenten und Professoren zusammengeschlossen, die in den Befreiungskriegen gegen Napoleon gekämpft hatten und von den Beschlüssen des Wiener Kongresses enttäuscht waren. 1817 Wartburgfest. Gefordert wurden nationale Einheit und Freiheit und Gleichheit aller Bürger. Mit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 wurden die Burschenschaften verboten. Trotz des Verbots gab Hoffmann gemeinsam mit Ernst Moritz Arndt, der aus politischen Gründen seine Professur verloren hatte, die „Bonner Burschenlieder“ heraus.
1840 veröffentlichte Hoffmann die Gedichtsammlung „Unpolitische Lieder“ bei dem Hamburger Verleger Hoffmann und Campe, der auch der Verleger Heinrich Heines und anderer Vormärzliteraten war. Der Titel war eine bewusste Irreführung der Zensur, denn die Gedichte riefen nach gesellschaftlichen und politischen Veränderungen und forderten die nationale Einheit Deutschlands.
Im August 1841 reiste Hoffmann zu einer Kur nach Helgoland, das damals ein bekannter Badeort war. Die Nordseeinsel war seit 1806 in britischem Besitz. Während dieses Aufenthalts schrieb er passend zu Haydns Melodie drei Strophen mit dem Textanfang „Deutschland, Deutschland über alles“.
Am 28. August 1841 kam der Verleger Campe gemeinsam mit dem Stuttgarter Buchhändler Paul Neff zu Besuch nach Helgoland. Er brachte Hoffmann das erste fertige Exemplar des zweiten Teils der „Unpolitischen Lieder“. Bei dieser Gelegenheit bot der dem Verleger für vier Louisdor das „Lied der Deutschen“ an. Schon wenige Tage später erschien es als Einzeldruck.
Mit dem „Lied der Deutschen“ und den „Unpolitischen Liedern“ galt Hoffmann als ein „aufmüpfiger“ Dichter und Staatsfeind. In vielen deutschen Staaten wurden seine Gedichte und Lieder verboten. 1842 verlor er seine Professur und wurde des Landes verwiesen. Es wird in der Literatur immer wieder betont, daß Hoffmann von Fallersleben Republikaner und Demokrat gewesen sei. „Sein Gedicht (das Deutschlandlied) war nie ein chauvinistischer Fanfarenstoß, sondern stets ein leidenschaftlicher Appell an die zersplitterten Partikularstaaten des deutschen Bundes gewesen – ein Aufruf zur inneren Einigung“ (Knopp / Kuhn 1988, S. 12).
Mit seiner Amtsenthebung begannen für Hoffmann Jahre der Verfolgung. Er konnte sich nirgendwo niederlassen, wurde immer wieder ausgewiesen. Unterdessen wurde sein „Lied der Deutschen“ populär. (Es soll über fünfzig Mal vertont worden sein; s. Knopp / Kuhn 1988, S. 32.) 1843 erschien es in einem Kommersbuch „Deutsche Lieder“; 1844 wurde es in Ludwig Bechsteins „Deutschem Dichterbuch“ und im „Allgemeinen deutschen Lieder-Lexikon“ abgedruckt. Nach einem unsteten Wanderleben verbrachte Hoffmann seit 1860 seine letzten Lebensjahre als Bibliothekar des Herzogs von Ratibor in Corvey – das Schloß Corvey liegt an der Weser. Dort starb er am 19. Januar 1874.
Aufführungen des Liedes: Erstmals wurde das „Deutschlandlied“ im Oktober 1841 von der von Albert Methfessel gegründeten „Hamburger Liedertafel von 1823“ in Anwesenheit des Textdichters gesungen. Es erklang im August 1890 bei der Feier der Übergabe der bislang zu Großbritannien gehörenden Insel Helgoland an Deutschland – sie war gegen Sansibar eingetauscht worden. Als offizielle Hymne setzte es sich aber nur langsam durch. Es gab keine Reichshymne, statt dessen zahlreiche regional begrenzte Volks- und Landeshymnen, so etwa die bis in die Gegenwart bekannte „Bayernhymne“ „Gott mit dir, du Land der Bayern“. Bei der Proklamation des Deutschen Kaiserreichs am 18. Januar 1871 wurde „Heil Dir im Siegerkranz“ auf die Melodie der englischen Nationalhymne gesungen. „Heil Dir im Siegerkranz“ blieb bis zum Ende des Wilhelminischen Reiches 1918 inoffiziell nationales Repräsentationslied bei patriotischen Feiern.
Um 1900 erklang das „Lied der Deutschen“ öfter bei feierlichen Anlässen, und es gehörte zum festen Bestand der deutschen Schulbücher.
Erster Weltkrieg und Weimarer Republik: Während des Ersten Weltkriegs wurde die erste Strophe des Liedes oft bei Siegesmeldungen und in Augenblicken patriotischer Begeisterung angestimmt. „‚Wenn es stets zu Schutz und Trutze, brüderlich zusammenhält‘ entsprach dem deutschen Grundgefühl in jenen Tagen, ‚gegen eine Welt von Feinden‘ ganz allein auf sich gestellt zu sein“ (Knopp / Kuhn 1988, S. 59). Das „Lied der Deutschen“ fungierte vor allem auch als Soldatenlied.
Während des Ersten Weltkriegs entstanden auch zahlreiche Umdichtungen, darunter „wehrkraftzersetzende“ wie die folgende, die im Mainzer Karneval 1916 gesungen wurde:
Deutschland, Deutschland schwer im Dalles*
Schwer im Dalles in der Welt,
wenn die Marmelad nit alles
brüderlich zusammenhält.
Eier, Butter, Wurscht und Schinke
Sin nur für die Reiche da
Nur mir arme, arme Schlucker
Gucke zu und kreische: Hurra
* Dalles (jiddisch) = Armut, Not
(Knopp / Kuhn 1988, S. 68 )
Seit dem Ersten Weltkrieg betrachteten die Entente-Mächte den Text Hoffmann von Fallerslebens als Ausdruck imperialer Machtgier und Selbstüberheblichkeit der Deutschen. Daher wurde in den nach 1918 besetzten Gebieten das Lied verboten.
Nach 1918 verstummte die monarchische Hymne, und neben der linken „Internationale“ u.a. Kampfliedern der deutschen Arbeiterbewegung setzte sich Hoffmann von Fallerslebens „Lied der Deutschen“ durch, allerdings hauptsächlich bei den politisch rechten Parteien und Gruppierungen, was wiederum zur Ablehnung des Liedes bei den Linken führte. Ragozat schreibt: „Als die neugewählten Abgeordneten der Weimarer Nationalversammlung 1919 über die Friedensbedingungen der Alliierten debattierten, unterbrach der Vorsitzende der Zentrumsfraktion die Sitzung und stimmte ‚Deutschland, Deutschland über alles‘ an. Der sozialdemokratische Abgeordnete Hugo Haase rief daraufhin: ‚Kriegstreibereien.‘“ (Ragozat 1982, S. 61).
Auch jetzt entstanden wieder viele Umdichtungen. Bekannt wurde die folgende des Münchener Schriftstellers Albert Matthäi (Sommer 1919):
Deutschland, Deutschland über alles
Und im Unglück nun erst recht.
Nur im Unglück kann die Liebe
Zeigen, ob sie stark und echt.
Und so soll es weiterklingen
Von Geschlechte zu Geschlecht:
Deutschland, Deutschland über alles
Und im Unglück nun erst recht.
(Knopp / Kuhn 1988, S. 74 )
Diese Zeilen wurden als sog. „Trutzstrophe“ populär. Sie entsprachen der allgemeinen Überzeugung, daß den Deutschen in und nach Versailles ein historisches Unrecht widerfahren sei.
In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg gab es viele Kontroversen um nationale Symbole, z.B. die Flagge. Die nationalistische Rechte wollte eine Fortsetzung des Schwarz-Weiß-Rot, die Kommunisten die rote Fahne, während Zentrum, SPD und linke Liberale Schwarz-Weiß-Rot durch Schwarz-Rot-Gold ersetzen wollten. Die Parteien der Mitte, der „Weimarer Koalition“, konnten sich durchsetzen: Schwarz-Rot-Gold wurde Reichsflagge, doch blieb Schwarz-Weiß-Rot für die Handelsflagge bestehen. (Im Dritten Reich war die Flagge wieder schwarz-weiß-rot, sie wurde gemeinsam mit der Hakenkreuzfahne gehißt.) Als es um die neue Hymne ging, ließen sich die SPD-Fraktion im Reichstag und der Reichspräsident Friedrich Ebert davon überzeugen, daß das Deutschlandlied geeignet sei – trotz seiner „Belastung“ durch „rechte Interpretatoren“.
Offiziell wurde das „Lied der Deutschen“ am 11. August 1922, dem Verfassungstag der Weimarer Republik, anerkannt, als der sozialdemokratische Reichspräsident Friedrich Ebert in seiner Ansprache die dritte Strophe mit „Einigkeit und Recht und Freiheit“ als Leitgedanken hervorhob: „Einigkeit und Recht und Freiheit! Dieser Dreiklang aus dem Liede des Dichters gab in Zeiten innerer Zersplitterung und Unterdrückung der Sehnsucht aller Deutschen Ausdruck; es soll auch jetzt unseren harten Weg zu einer besseren Zukunft begleiten... Sein Lied ... soll nicht Mißbrauch finden im Parteikampf...; es soll auch nicht dienen als Ausdruck nationalistischer Überhebung“ (Ragozat 1982, S. 61).
Dennoch blieb das Lied bei den Linken diskreditiert, weil die Rechte es stark für sich beanspruchte. Gegen Ende der 20er Jahre stand das Deutschlandlied in allen Liederbüchern der Rechtsparteien und der NSDAP, während es im sozialistischen „Jugendliederbuch“ fehlte. Kurt Tucholsky mokierte sich über „Deutschland über alles“, „jenen törichten Vers eines großmauligen Gedichts“ (Knopp / Kuhn 1988, S. 81). Es sei, so Tucholsky‚ ein „wirklich schlechtes Gedicht“, „das eine von allen guten Geistern verlassene Republik zu ihrer Nationalhymne erkor“ (Günther 1966, S. 126).
Das „Dritte Reich“: Am 19. Mai 1933 erklärte Adolf Hitler im „Reichsgesetz zum Schutz nationaler Symbole“ das nationalsozialistische „Horst-Wessel-Lied“ („Die Fahne hoch“; s.u.) zum offiziellen Zusatz des Deutschlandliedes, von dem nun die erste Strophe gesungen wurde. Seit 1940 mussten Deutschland- und Horst-Wessel-Lied gemeinsam aufgeführt werden. Diese Doppelhymne wurde – wie auch viele andere nationalsozialistische oder nationalsozialistisch belastete Lieder – am 14. Juli 1945 durch den Alliierten Kontrollrat verboten.
Auch während des „Dritten Reiches“ kursierten (sowohl pro- als auch antinationalsozialistische) Parodien des Deutschlandliedes. „Mit dem Anschluß Österreichs und der Besetzung Dänemarks und der Niederlande hatte auch das Von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt erneut seinen Status geändert. Aus der Utopie war ... Realität geworden, die Sehnsucht schien erfüllt“ (Kurzke 1990, S. 48 f.). Deshalb sangen deutsche Soldaten:
Von der Maas bis an die Memel,
Von der Etsch bis an den Belt
Stehen deutscher Männer Söhne
Gegen eine ganze Welt
(aus: Soldatenliederbuch, hg. vom Generalkommando des VII Armeekorps, 2. Aufl. München 1940; zit. nach Kurzke 1990, S. 49)
1942 war im „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“ folgende Version im Umlauf:
Deutschland, Deutschland nimmt sich alles
nimmt sich alles in der Welt
Ohne Maß bis an den Kreml
Bis es dann zusammenfällt.
(Knopp / Kuhn 1988, S. 91 )
Nach 1945 verboten die Alliierten das Spielen und Singen des Horst-Wessel-Liedes und des Deutschlandliedes. Als problematisch galten und gelten nicht nur die ersten zwei Zeilen der ersten Strophe, sondern vor allem auch die Grenzziehung: Maas, Etsch und Belt markierten 1841 die Grenzen eines Staatenpaktes namens „Deutscher Bund“, wobei die Memel schon außerhalb dieser Grenzen lag, aber zu Preußen gehörte. Dieser historische Bezug wird aber überlagert durch die Erinnerung an Hitlers aggressive Expansionspolitik. „Dies wäre wohl vermieden worden, wenn die verpönte erste Strophe nur die Nachkriegsgrenzen beider deutscher Staaten nennen würde. Warum nicht ‚von der Maas bis an die Oder, von den Alpen bis zum Belt‘?“ (Knopp Kuhn 1988, S. 14). Solche pragmatischen Überlegungen fanden nach 1945 nicht statt, man wollte anscheinend den „authentischen“ Text bewahren. Andere Nationen hatten bei Textänderungen weniger Bedenken: Die französische Hymne wurde mehrfach umgedichtet, ebenso die sowjetische u.v.a.
Schon vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland am 20. September 1949 gab es viele Diskussionen und Auseinandersetzungen um das „Lied der Deutschen“ als Staatssymbol des neuen demokratischen Staates. Im Artikel 22 des Grundgesetzes vom 25. Mai 1949 ist nur die Bundesflagge „Schwarz-Rot-Gold“ festgelegt; die Frage der Nationalhymne wurde ausgespart. Für viele Parlamentarier blieb das „Deutschland über alles“ – trotz aller gutgemeinten Deutungen – zu missverständlich.
Es gab starke Einwände gegen das Deutschlandlied, weil es im „Dritten Reich“ missbraucht worden war. Ein ehemaliger Häftling, der Publizist Axel Eggebrecht, erinnerte sich: „Im KZ mußten wir die heiligen Worte Recht und Freiheit nach Kommando herausbrüllen. Wächter mit Knüppeln umstanden uns, brüderliche Gesangslehrer. Und da sollen wir nun wieder singen, als sei nichts gewesen?“ (Knopp / Kuhn 1988, S. 108 ).
Dass eine Nationalhymne nach 1945 fehlte, machte sich u.a. bei internationalen Sportveranstaltungen bemerkbar. Offiziell vorgesehen war für solche Gelegenheiten Schiller/Beethovens „Freude, schöner Götterfunken“. Es kam aber auch vor, dass anstelle einer Hymne der Kölner Karnevalsschlager von 1948 „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“ gespielt wurde oder aber „In München steht ein Hofbräuhaus“ und bei Auftritten Konrad Adenauers „Heidewitzka, Herr Kapitän“.
In der BRD setzte sich Bundeskanzler Adenauer für das „Lied der Deutschen“ ein, ebenso der Vorsitzende der SPD Kurt Schumacher – im Gegensatz zu den meisten SPD-Mitgliedern. Der damalige Bundespräsident Theodor Heuss (FDP) hatte Bedenken. Im August 1950 ließ er mitteilen, dass bis zum Vorliegen einer neuen deutschen Nationalhymne das Lied „Ich hab mich ergeben“ gesungen werden solle (Knopp / Kuhn 1988, S. 104). Heuss wünschte sich eine neue Nationalhymne. In einem Schreiben vom September 1950 an Carl Orff (den Heuss als Komponist einer neuen Nationalhymne auserkor, der lehnte aber ab) äußerte er die folgenden Bedenken gegenüber Hoffmann von Fallerslebens Text:
„... die erste Strophe paßt nicht mehr in die geschichtliche Landschaft, die zweite ist zu trivial und immer trivial gewesen, die dritte allein für sich wenig. Die mannigfaltigen Versuche, auf die Haydnsche Melodie einen neuen Text zu stülpen, halte ich für aussichtslos. Ich glaube, die Deutschen genug zu kennen, um zu wissen, daß dann die ‚loyalen‘ Patrioten den sogenannten amtlichen Text, die ‚militanten‘ Patrioten ... den Hoffmannschen Text singen, und wir kommen aus dem ewigen Sängerwettstreit der stärkeren Stimmen nicht heraus“ (Knopp / Kuhn 1988, S. 105).
Heuss schlug ein Lied als neue Nationalhymne vor, dessen Text von Rudolf Alexander Schröder (geb. 1878) gedichtet und dessen Melodie von Hermann Reutter komponiert worden war. Schröders „Hymne an Deutschland“ lautete:
Land des Glaubens, deutsches Land,
Land der Väter und Land der Erben,
Uns im Leben und im Sterben
Haus und Herberg, Trost und Pfand.
Sei den Toten zum Gedächtnis,
den Lebendgen zum Vermächtnis,
Freudig von der Welt bekannt,
Land des Glaubens, deutsches Land.
(Knopp / Kuhn 1988, S. 104 )
Bundeskanzler Adenauer rief heftige Reaktionen im In- und Ausland hervor, als er am 18. April 1950 anläßlich eines Besuchs in Berlin bei einer Kundgebung im Titania-Palast die dritte Strophe „Einigkeit und Recht und Freiheit“ anstimmte. Er wollte eine Entscheidung in der Hymnenfrage provozieren (Ragozat 1982, S. 62). Adenauer forderte die Versammlung zum Mitsingen auf. Der Parteivorstand der SPD verließ den Raum, während die drei Westberliner Kommandanten sich von ihren Sitzen erhoben. Im Ausland gab es Kritik an Adenauers Vorgehen.
Noch wollte Heuss das Lied von R.A. Schröder und Hermann Reutter „Land des Glaubens“ als Bundeshymne durchsetzen. Zum Jahreswechsel 1950/51 erklang dieses Lied nach der Rundfunkansprache des Staatsoberhauptes über alle westdeutschen Sender. Die Öffentlichkeit blieb reserviert. Der Dichter Gottfried Benn schrieb: „Und nun die neue Nationalhymne. Der Text ganz ansprechend, vielleicht etwas marklos. Der nächste Schritt wäre dann ein Kaninchenfell als Reichsflagge“ (Knopp / Kuhn 1988, S. 107). Die „Frankfurter Rundschau“ sah sich erinnert an Gesänge der Hitlerjugend zu Morgenfeiern und Sonnwendfeiern, wohl auch, weil R. A. Schröder eine NS-Vergangenheit hatte .
In seinem Brief an Adenauer vom 2. Mai 1952 gab Heuss schließlich nach: „Als mich die Frage nach einer Nationalhymne bewegte..., glaubte ich, daß der tiefe Einschnitt in unserer Volks- und Staatsgeschichte einer neuen Symbolgebung bedürftig sei... Ich weiß heute, daß ich mich täuschte... Ich habe den Traditionalismus und sein Beharrungsbedürfnis unterschätzt“ (Knopp / Kuhn 1988, S. 110). Der Bundespräsident erklärte sich bereit, unter Verzicht auf eine feierliche Proklamation der Bitte der Bundesregierung um Wiedereinführung des ‚Deutschlandliedes‘ als Staatssymbol der Bundesrepublik Deutschland zu entsprechen (Ragozat 1982, S. 63; Knopp /Kuhn 1988, S. 110). Als Stunde der Wiedergeburt gilt der 6. Mai 1952. An diesem Tag veröffentlichte das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung eine Erklärung (Wortlaut siehe Ragozat 1982, S. 63). Es wurde darin betont, daß bei staatlichen Veranstaltungen die dritte Strophe gesungen werden solle, obgleich alle Strophen des Liedes als Nationalhymne anerkannt seien. Diese Regelung – dass zwar alle Strophen als Nationalhymne anerkannt sind, jedoch bei staatlichen Veranstaltungen nur die dritte Strophe gesungen werden solle – führte immer wieder zu Irritationen; immer wieder war es die erste Strophe, die Anstoß erregte.
In den langjährigen Diskussionen wies die parlamentarische Opposition auf die unangenehmen Erinnerungen hin, die das Deutschlandlied durch seine Verwendung im „Dritten Reich“ bei vielen hervorrief, doch ging die SPD nach und nach dazu über, die Hymne zu tolerieren. Im Ausland waren die Reaktionen geteilt. Im Ostblock gab es scharfe Ablehnung, während die drei Hohen Kommissare in Bonn übereinstimmend erklärten, es sei „deutsche Angelegenheit, die Nationalhymne zu bestimmen“. Der amerikanische Hohe Kommissar McCloy meinte. es sei nicht entscheidend, was die Völker singen, sondern wie sie handeln (Knopp / Kuhn 1988, S. 113 f.).
Es gab bis in die sechziger Jahre keine getrennten Olympiamannschaften der BRD und der DDR, sondern nur eine gesamtdeutsche Mannschaft. Daher mussten bei den Olympiaden in Rom 1960 und Tokio 1964 Kompromisse gefunden werden: Die deutschen Sportler wurden damals mit Beethovens Hymne „An die Freude“ geehrt. Erst seit 1968 traten auf Beschluss des Olympischen Komitees die Sportler aus der Bundesrepublik Deutschland und der DDR mit eigener Flagge und Hymne an.
Auch nachdem das Deutschlandlied seit 1952 offizielle Hymne war, gab es weiterhin zahlreiche Auseinandersetzungen. Das zeigt z.B. seine Behandlung in den Funkhäusern der einzelnen ARD-Anstalten. Anfang 1974 erklang die dritte Strophe nur noch am Sendeschluss im Bayerischen und Hessischen Rundfunk und im Sender Freies Berlin. Der Westdeutsche Rundfunk hatte zu dieser Zeit die Ausstrahlung der Hymne eingestellt, nahm sie bald aber wieder im dritten Programm auf (Knopp / Kuhn 1988, S. 124). 1977 regte Bundespräsident Walter Scheel an, im Fernsehen an vier herausgehobenen Tagen des Jahres das Deutschlandlied zu spielen: am 23. Mai, dem Tag der Verabschiedung des Grundgesetzes (Verfassungstag); am 17. Juni, dem Tag der deutschen Einheit; am 20. Juli, dem Gedenktag für die Widerstandskämpfer gegen das Naziregime; am Volkstrauertag (2 Sonntage vor dem 1. Advent). Am 8. März 1985 votierte der Fernsehrat des ZDF einstimmig für die tägliche Ausstrahlung der Nationalhymne zum Programmschluss; kurz darauf folgte die ARD.
In den Schulen gehört die dritte Strophe des Deutschlandliedes zu den für das 4. Schuljahr verbindlichen Lerninhalten. Auch hier erregte die erste Strophe mehrmals Anstoß: So gab es im Frühjahr 1978 in Baden-Württemberg einen Parteienstreit, als der damalige Ministerpräsident Filbinger an alle Schulen des Landes eine mit allen drei Strophen besungene Schallplatte, dargeboten von dem Sänger Heino, schicken wollte. In Berlin gab es Ärger, als der Charlottenburger Volksbildungsstadtrat Roeseler die drei Strophen des Deutschlandliedes an die Lehrer mit der Anweisung schickte, den Text allen Kindern des Bezirks in den vierten Klassen bekannt zu machen. Es gab Proteste von SPD- und FDP-Stadträten, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft reichte Klage ein (Knopp / Kuhn 1988, S. 126 f.). Stein des Anstoßes war dabei die belastete erste Strophe.
Ein Briefwechsel zwischen Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Bundeskanzler Helmut Kohl vom August 1991 legte für das wiedervereinte Deutschland fest, dass seit dem 3. Oktober 1990 die Nationalhymne der bisherigen Bundesrepublik – reduziert auf ihre dritte Strophe – „für das vereinte deutsche Volk gilt“. Die erste Strophe ist nicht verboten, jedoch bei staatlichen Anlässen verpönt.
Aber nicht erst seit 1945, sondern von Anfang an war das „Deutschlandlied“ umstritten. Schon Friedrich Nietzsche äußerte dazu: „...die blödsinnigste Parole, die je gegeben worden ist“ (Ragozat 1982, S. 61). Der Historiker Golo Mann hingegen nannte den Text „zarteste Lyrik“ (Knopp/ Kuhn 1988, S. 7). Er betont, daß andere Hymnen viel aggressiver seien: Die Marseillaise strotze geradezu vor Militarismus. Da werde „zu den Waffen“ gerufen, da spritze Blut („Qu’un sang impur abreuve nos silons“ – „Das unreine Blut tränke unserer Äcker Furchen“), werde den Feinden Frankreichs Rache angedroht. In der US-Hymne läßt Autor Francis Scott Key das Sternenbanner wehen – „hoch und tapfer“, „unter den Blitzen der Schlacht“.
Das Deutschlandlied „ist ein Paradebeispiel dafür, daß es keinen Text an sich gibt, sondern nur einen Text, der von ganz bestimmten Lesern (Sängern) mit einem ganz bestimmten Erwartungshorizont verwendet wird ... Jede Epoche der deutschen Geschichte sang mit denselben Worten ein anderes Lied“ (Kurzke 1990, S. 50).
Horst-Wessel-Lied („Die Fahne hoch“)
Literatur:
Ulrich Günther: „...über alles in der Welt?“ Studien zur Geschichte und Didaktik der deutschen Nationalhymne. Neuwied und Berlin 1966
Guido Knopp / Ekkehard Kuhn: Das Lied der Deutschen. Schicksal einer Hymne. Berlin, Frankfurt am Main 1988
Hermann Kurzke: Hymnen und Lieder der Deutschen. Mainz 1990
Imre Lazar: Der Fall Horst Wessel. Stuttgart und Zürich 1980
Joseph Wulf: Musik im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Gütersloh 1963
Tonträger, Fernsehsendungen:
CD „Hymnen der Deutschen“. Stimmen des 20. Jahrhunderts. Deutsches Historisches Museum, Deutsches Rundfunkarchiv 1998
„Verklärt, verhaßt, vergessen“ – Horst Wessel. Film von Ernst-Michael Brandt. mdr 1997
Am 27. März 1933 bestimmte der damalige bayerische Kulturminister Hans Schemm, das Horst-Wessel-Lied solle in allen Schulen des Landes Bayern neben dem Deutschlandlied gesungen werden. Später wurden das Deutschland- und das Horst-Wessel-Lied im gesamten Deutschen Reich eine untrennbare Einheit. Seit 1940 war es Vorschrift, bei offiziellen Anlässen nach dem Deutschlandlied das Horst-Wessel-Lied zu spielen. In vielen Liederbüchern des „Dritten Reichs“ erscheinen beide Hymnen am Beginn (z.B. im SA-Liederbuch, 1939; SS-Liederbuch, 1937; Liederbuch der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“, 1936) oder am Schluss (Liederbuch der deutschen Soldaten, 1939). Welche besondere Bedeutung dem Singen des Horst-Wessel-Liedes zukam, zeigt sich u.a. in einer Anweisung in dem Liederbuch „Singkamerad“ (2. Aufl. München 1934): „Die 1. Und 4. Strophe dieses neuen deutschen Weiheliedes werden mit erhobenem rechten Arm gesungen.“
Wie wichtig dem Regime beide Hymnen waren, zeigt auch eine spätere Anweisung, wie beide Lieder zu spielen seien: In den Amtlichen Mitteilungen der Reichsmusikkammer vom 15.2.1939 hieß es: „Der Führer hat entschieden, daß das Deutschlandlied als Weihelied im Zeitmaß ¼ = M 80 zu spielen ist, während das Horst-Wessel-Lied als revolutionäres Kampflied schneller gespielt werden soll“ (Wulf 1963, S. 128).
Horst Wessel, war ein Berliner SA-Sturmführer. Das nach ihm benannte Lied schrieb er 1927 (nach anderen Zeugnissen 1929) für seinen SA-Sturm.
Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen
SA marschiert mit ruhig festem Schritt
Kam’raden, die Rotfront und Reaktion erschossen
Marschieren im Geist in unsern Reihen mit.
Die Straße frei den braunen Bataillonen
Die Straße frei dem Sturmabteilungsmann
Es schau’n aufs Hakenkreuz voll Hoffnung schon Millionen
Der Tag für Freiheit und für Brot bricht an.
Zum letztenmal wird nun Appell geblasen
Zum Kampfe stehen wir alle schon bereit
Bald flattern Hitlerfahnen über allen Straßen
Die Knechtschaft dauert nur noch kurze Zeit.
1929 erschien das Lied erstmals im Druck; seit 1930 findet es sich in Liederbüchern der NSDAP – wobei es im Laufe der Jahre einige Textänderungen gab (s. Kurzke 1990, S. 133). So wurden einige kämpferische Formulierungen später, als die NSDAP Regierungspartei war, eliminiert.
Horst Wessel wurde 1907 als Sohn eines Pfarrers in Bielefeld geboren. Er studierte Jura an der Berliner Universität und wurde Mitglied einer studentischen Verbindung. 1926, im Alter von 19 Jahren, trat er der NSDAP und der SA bei. 1930 starb er im Alter von 23 Jahren, laut NS-Diktion nach einem Straßenkampf mit Kommunisten. Tatsächlich jedoch wurde Wessel Opfer einer Schießerei aus mehr privatem als politischem Anlaß. Wessel wurde dabei schwer verletzt und starb nach einigen Tagen.
Mit Wessels frühem Tod begann die Karriere des Liedes. Ihm wurde mit viel propagandistischem Aufwand der Glorienschein einer Hymne der nationalsozialistischen „Bewegung“ verliehen. Der Autor, seine Biographie und die Entstehungsgeschichte des Liedes wurden verfälscht, idealisiert, und so avancierte das Lied zu einer Art nationalsozialistischem Glaubensbekenntnis. Der damalige Gauleiter der NSDAP von Berlin, Joseph Goebbels, war es, der in Wessels Tod die Chance witterte, „einen Märtyrer zu schaffen. Er erhob den Toten zum ‚Blutzeugen der nationalsozialistischen Bewegung‘. Bei seiner Beisetzung wurde das Lied zum erstenmal öffentlich gesungen, verbreitete sich rasch im ganzen Reich und wurde Kultgesang der braunen Kolonnen“ (Knopp / Kuhn 1988, S. 86 ).
Zur Herkunft der Melodie des Horst-Wessel-Liedes gibt es viele unterschiedliche Vermutungen und Behauptungen. Kurzke hält eine Beziehung zur Tradition sozialistischer Arbeiterlieder für wahrscheinlich. „Da relativ viele nationalsozialistische Lieder aus kommunistischen Arbeiterliedern entstanden sind, wäre das nicht ungewöhnlich“ (Kurzke 1990, S. 129). In den NS-Liederbüchern finden sich zur Herkunft der Melodie des Horst-Wessel-Liedes folgende Angaben: „Horst Wessel“, „Volksweise“ oder „nach einem alten Soldatenlied“.
Das Horst-Wessel-Lied wurde häufig parodiert. Die bekannteste Parodie ist der „Kälbermarsch“ aus Bertolt Brechts „Schweyk im zweiten Weltkrieg“ (1943). „Der Dicke“ singt in der 7. Szene die folgende Variante des Liedes:
Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen,
SA marschiert mit ruhig festem Schritt,
Kameraden, deren Blut vor unserm schon geflossen,
sie ziehn im Geist in unsern Reihen mit.
Schweyk kontert mit dem „Kälbermarsch“, den er zu der Begleitung einer Militärkapelle singt, „und zwar so“, wie es in den szenischen Anweisungen heißt, „daß er den Refrain zu der Melodie singt, die Vorstrophen aber zu den Trommeln dazwischen“ (Brecht, Schweyk):
Hinter der Trommel her
Trotten die Kälber
Das Fell für die Trommel
Liefern sie selber.
Der Metzger ruft. Die Augen fest geschlossen
Das Kalb marschiert mit ruhig festem Tritt.
Die Kälber, deren Blut im Schlachthof schon geflossen
Sie ziehn im Geist in seinen Reihen mit.
Sie heben die Hände hoch
Sie zeigen sie her
Sie sind schon blutgefleckt
Und sind noch leer.
Der Metzger ruft
...
Sie tragen ein Kreuz voran
Auf blutroten Flaggen
Das hat für den armen Mann
Einen großen Haken
Der Metzger ruft
...
Es gibt weitere Parodien des Horst-Wessel-Liedes: siehe z. B. Inge Lammel, Das Arbeiterlied, Frankfurt am Main 1973, S. 205 f.
1945 wurde das Horst-Wessel-Lied zusammen mit dem Deutschlandlied vom Alliierten Kontrollrat verboten.
Die Nationalhymne der DDR („Auferstanden aus Ruinen“)
Literatur:
100 Jahre Deutsches Arbeiterlied. Eine Dokumentation. 2 LPs + Textheft. Eterna 810015-016
Ulrich Günther: ... über alles in der Welt? Studien zur Geschichte und Didaktik der deutschen Nationalhymne. Neuwied und Berlin 1966
Guido Knopp / Ekkehard Kuhn: Das Lied der Deutschen. Schicksal einer Hymne. Berlin, Frankfurt am Main 1988
Hermann Kurzke: Hymnen und Lieder der Deutschen. Mainz 1990
Leben Singen Kämpfen. Liederbuch der deutschen Jugend. Hg. vom Zentralrat der Freien Deutschen Jugend. Berlin/DDR 1958
Ulrich Ragozat: Die Nationalhymnen der Welt. Ein kulturgeschichtliches Lexikon. Freiburg i.Br. 1982
Tonträger:
CD „Arsch huh, Zäng ussenander!“ Kölner Musiker gegen Rassismus und Neonazis. Köln, EMI, 1992
CD „Dem Morgenrot entgegen“. Edition BARBArossa 1995
CD „Hymnen der Deutschen“. Stimmen des 20. Jahrhunderts. Deutsches Historisches Museum, Deutsches Rundfunkarchiv 1998
Seit 1949 gab es zwei deutsche Staaten, die ihre politischen und ideologischen Gegensätze stark betonten. Die Unterschiede drückten sich auch in verschiedenen Staatssymbolen aus. Die Flagge der DDR war wie die der Bundesrepublik schwarz-rot-gold, doch wurde sie mit Hammer und Sichel im Ährenkranz versehen. Bei der Wahl einer Nationalhymne versuchte die DDR, die Last der Tradition abzustreifen – im Unterschied zur Bundesrepublik, in der das „Lied der Deutschen“ nach vielen Debatten wieder als Nationalhymne eingeführt wurde. Für die DDR gab es eine neue Nationalhymne, verfasst von Johannes R. Becher und Hanns Eisler. Offizielle Gültigkeit erlangte diese 1944 bzw. 1949 komponierte Nationalhymne durch einen Beschluss des Ministerrates der Regierung am 5. November 1949.
Hanns Eisler: geb. 1898, gest. 1962. War in Wien Kompositionsschüler von Arnold Schönberg. Übersiedelte 1924 nach Berlin. Nach Hitlers Machtergreifung ging er ins Exil, 1938 in die USA, wo er 1948 aus politischen Gründen ausgewiesen wurde. Nach einem zweijährigen Aufenthalt in Wien zog Eisler 1950 in die DDR. Für die gemeinsam mit Johannes R. Becher verfasste Nationalhymne erhielt er 1950 den Nationalpreis der DDR.
Ragozat schreibt über Eisler: „Der Komponist gilt als einer der prominentesten Vertreter massenwirksamer Musikgestaltung in der DDR“ (Ragozat 1982, S. 73). Und zur musikalischen Gestaltung der Hymne meint Ragozat: „In Melodieoriginalität und der einfachen, harmonischen Ausformung ist von Eislers Schülerschaft bei Schönberg nicht viel zu spüren“ (Ragozat 1982, S. 73). Ragozat scheint Eislers Kompositionen nicht zu kennen und ist evtl. beeinflusst von der in der BRD während des Kalten Krieges verbreiteten einseitigen Festlegung Eislers auf einige wenige „Kampflieder“ und die Nationalhymne der DDR. Auch in der DDR gab es eine Blickverengung auf Eislers kompositorisches Schaffen: Inge Lammel z.B. lässt in „Kampfgefährte – unser Lied“ wichtige Fakten aus Eislers Biographie unerwähnt, z. B. den Unterricht bei Arnold Schönberg und das amerikanische Exil.
Johannes R. Becher, der Textverfasser, wurde 1891 in München geboren. Durch die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs wurde er Pazifist. 1923 trat er in die KPD ein. Er wurde Redakteur der „Roten Fahne“. Während des „Dritten Reichs“ wurde Becher aus Deutschland ausgebürgert. Im sowjetischen Exil arbeitete er von 1935 bis 1945 als Redakteur in Moskau. 1945 kehrte er nach Deutschland zurück. In der DDR wurde er 1954 Minister für Kultur. Er starb 1958 in Berlin.
Es heißt, „Auferstanden aus Ruinen“ sei unmittelbar nach der Gründung der DDR auf Wunsch des damaligen Staatspräsidenten Wilhelm Pieck verfasst worden. Hinsichtlich des Entstehungsdatums gibt es jedoch voneinander abweichende Angaben. Ulrich Günther nennt für den Text das Entstehungsjahr 1942, für die Melodie 1944. Auch Knopp / Kuhn geben 1942 als Entstehungsjahr des Textes an, während Ragozat das Entstehungsjahr 1942 für unwahrscheinlich hält, denn es habe zu diesem Zeitpunkt noch keinen Grund gegeben, „Auferstanden aus Ruinen“ zu singen (Ragozat 1982, S. 74). Kurzke hebt hervor, dass Becher im Moskauer Exil zahlreiche Deutschlanddichtungen geschrieben habe. (Es ist bekannt, daß sich viele Emigranten im Exil intensiv mit Deutschland und ihrer möglichen Rückkehr nach der Befreiung vom Nationalsozialismus beschäftigten.) Als Becher im Juni 1945 als einer der ersten Exilanten in die verwüstete Heimat zurückkehrte, hätten sich „in seinem Gepäck ... vielerlei programmatische Vorarbeiten für den geistigen Wiederaufbau“ Deutschlands gefunden (Kurzke 1990, S. 154 ).
Nach Knopp / Kuhn schrieb Becher in Moskau folgendes Gedicht:
Auferstanden aus Ruinen
Und der Zukunft zugewandt,
Laß uns Dir zum Guten dienen,
Deutschland unser Vaterland
Deine Einheit zu erringen,
Haben wir uns fest geeint,
Alte Not gilt es zu zwingen,
Daß die Sonne, daß die Sonne
Über Deutschland scheint.
(Knopp / Kuhn 1988, S. 98 )
Später nahm Becher verschiedene Textänderungen vor. 1949 übersandte er dem Komponisten Ottmar Gerster seinen Text mit der Bitte um eine Vertonung. Kurze Zeit danach traf Becher Hanns Eisler bei einer Goethe-Feier in Warschau und erzählte ihm von Piecks Auftrag. Es wird erzählt, Eisler habe sich – im Geburts- und Wohnhaus Frédéric Chopins! – sofort an den Chopin-Flügel gesetzt und aus dem Stegreif eine Melodie entworfen, die Becher gefallen habe (Knopp / Kuhn 1988, S. 99). Eine schöne Legende?
Die beiden Fassungen von Gerster und von Eisler wurden im November 1949 im Berliner „Club der Kulturschaffenden“ und später vor dem Politbüro der SED dargeboten. Die Melodie von Eisler wurde in beiden Fällen bevorzugt. Am 7. November 1949, bei einer Feier zum 32. Jahrestag der Oktoberrevolution, sang der Chor des Berliner Rundfunks die Hymne erstmals öffentlich.
Text der DDR-Hymne:
Auferstanden aus Ruinen
Und der Zukunft zugewandt,
Laß uns dir zum Guten dienen,
Deutschland, einig Vaterland.
Alte Not gilt es zu zwingen,
Und wir zwingen sie vereint,
Denn es muß uns doch gelingen,
Daß die Sonne schön wie nie
Über Deutschland scheint.
Glück und Frieden sei beschieden
Deutschland, unserm Vaterland.
Alle Welt sehnt sich nach Frieden,
Reicht den Völkern eure Hand.
Wenn wir brüderlich uns einen,
Schlagen wir des Volkes Feind!
Laßt das Licht des Friedens scheinen,
Daß nie eine Mutter mehr
Ihren Sohn beweint.
Laßt uns pflügen, laßt uns bauen,
Lernt und schafft wie nie zuvor,
Und der eignen Kraft vertrauend,
Steigt ein frei Geschlecht empor.
Deutsche Jugend, bestes Streben
Unsres Volks in dir vereint,
Wirst du Deutschlands neues Leben.
Und die Sonne schön wie nie
Über Deutschland scheint.
Der Text von Becher passte anfänglich noch in das Konzept der DDR-Führung, er war an das gesamte Deutschland gerichtet („einig Vaterland“). Seit 1972 jedoch hielt die Regierung unter Staats- und Parteichef Erich Honecker das Bekenntnis zu „Deutschland, einig Vaterland“ für nicht mehr tragbar, so dass der Wortlaut verschwand und die Hymne nur noch instrumental aufgeführt wurde. Verboten wurde der Text nicht, aber er wurde nicht mehr gesungen.
Wegen Eislers Melodie gab es Plagiatvorwürfe. Es hieß, sie würde sich an einen Schlager der vierziger Jahre anlehnen: In einem Film sang Hans Albers das von Peter Kreuder komponierte Lied „Good-bye, Jonny“ (s. Günther 1966, S. 4). Kreuder soll sich wegen der Urheberrechte sogar an die UNO gewandt haben (Ragozat 1982, S. 75). Es wird berichtet, daß Kreuder bei seiner DDR-Tournee 1976 das Publikum verunsichert habe, als er seinen Evergreen spielen ließ und sich die Zuhörer andächtig verhielten und von den Plätzen erhoben“ (Ragozat 1982, S. 75).
Die politischen Umwälzungen seit 1989 führten zu einer Wiederbelebung der Diskussion über eine zeitgemäße Deutschland-Hymne. Bechers Hymnentext wurde offiziell wieder zugelassen (Beschluss der Volkskammer der DDR am 3. Januar 1990). Die Textzeile „Deutschland, einig Vaterland“ wurde sogar einer der häufigsten Slogans in Sprechchören und auf Transparenten. Die „Auferstehung“ der DDR-Hymne im Jahr 1990 war jedoch nur von kurzer Dauer, denn am 3. Oktober 1990 wurde sie durch die Hymne der Bundesrepublik „abgewickelt“.
In den neunziger Jahren entstanden auch einige Kompositionen, in denen versucht wurde, verschiedene Hymnen miteinander zu verbinden, was nicht selten zu politischen Kontroversen führte. So gab aus Anlass der Feierlichkeiten zum Tag der deutschen Einheit 1998 in Hannover die Niedersächsische Landesregierung an den Berliner Komponisten Bardo Henning ein Werk in Auftrag. Dessen Idee, beide Hymnen, die in den letzten 40 Jahren in beiden Teilen Deutschlands verschiedene Wertsysteme repräsentiert hatten, musikalisch zu vereinen und darüber hinaus mit dem Schlager „Good-bye, Jonny“ zu verbinden, löste einen Streit zwischen den Parteien und Ländern aus, auch der Kanzler äußerte sich ablehnend, und der Konflikt gipfelte in der Absage des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, an den Feierlichkeiten zum Tag der deutschen Einheit teilzunehmen.
Als am 14. Juni 1994 Bundeskanzler Kohl in Bonn das „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ eröffnete, das die Historie beider deutscher Staaten dokumentieren sollte, spielte das Bundesjazzorchester (BuJazzO) unter großem Beifall ein Arrangement des Bandleaders Peter Herbolzheimer, das aus der Europahymne, dem Deutschlandlied und der Hymne der DDR bestand und das bereits 1989 im Rahmen einer Deutschland-Revue erstmals öffentlich aufgeführt worden war.
Die Internationale
Literatur:
Hermann Kurzke: Hymnen und Lieder der Deutschen. Mainz 1990
Inge Lammel: Das Arbeiterlied. Leipzig 1975
Inge Lammel: Arbeitermusikkultur in Deutschland 1844-1945. Leipzig 1984
Walter Moßmann / Peter Schleuning: Alte und neue politische Lieder. Reinbek 1978
Tonträger:
CD „Dem Morgenrot entgegen“. Edition BARBArossa 1995
100 Jahre Deutsches Arbeiterlied. Eine Dokumentation. 2 LPs + Textheft. Eterna 810015-016
Karlheinz Stockhausen: „Hymnen“
Die „Internationale“ entstand zur Zeit der Pariser Commune im Juni 1871 bzw. unmittelbar nach deren Sturz. Textverfasser war Eugène Pottier (1816-1887), tätig war als Packer, Dekorationsmaler und Stoffmusterzeichner, bekannt auch als Chansonnier, Verfasser von Revuen, Schlagern und Singspielen für Vorstadttheater, der sich in der Arbeiterbewegung stark engagierte. Nachdem die Commune niedergeschlagen war, flüchtete er ins Ausland, kehrte aber nach der Amnestie 1880 nach Paris zurück und arbeitete dort weiterhin politisch. Pottier gilt als der produktivste und bekannteste Liedermacher der Commune. 1908 wurde auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise unter großer Anteilnahme der Bevölkerung sein Denkmal enthüllt.
Die Melodie der „Internationale“ schrieb Pierre Degeyter (1848-1932) im Jahr 1888. Er war von Beruf Drechsler und tätig als Chormeister eines Arbeitergesangvereins in Lille. Die Vertonung soll im Juni 1888 erstmals öffentlich erklungen sein (Lammel 1975, S. 229). Die französischsprachige Urfassung (Kurzke 1990, S. 109 f.) hatte sechs Strophen, deren deutsche (wörtliche, nicht poetische) Übersetzung lautet:
Steht auf, Verdammte der Erde!
Steht auf, Galeerensklaven des Hungers!
Die Vernunft brodelt in ihrem Krater,
Das ist der endgültige Ausbruch.
Das Vergangene wollen wir ausmerzen,
Versklavte Masse, steh auf, steh auf!
Die Welt wird sich von Grund auf ändern:
Wir sind nichts, wir wollen alles sein!
Dies ist der letzte Kampf:
Schließen wir uns zusammen, und morgen
Wird die Internationale
Die menschliche Ordnung sein.
Es gibt keine höheren Retter:
Keinen Gott, keinen Cäsar, keinen Tribun,
Werktätige, retten wir uns selber!
Verordnen wir das Allgemeinwohl!
Damit der Dieb seine Beute wieder herausgibt,
Damit der Geist aus seinen Fesseln befreit wird,
Blasen wir selbst in unser Feuer,
Schmieden wir das Eisen, solange es glüht!
Dies ist der letzte Kampf...
Der Staat unterdrückt und das Gesetz betrügt;
Die Steuer läßt den Unglücklichen zur Ader;
Der Reiche hat keine Pflicht;
Das Recht der Armen ist ein leeres Wort.
Wir haben lange genug in der Unterdrückung geschmachtet.
Die Gleichheit will andere Gesetze,
„Keine Rechte ohne Pflichten, sagt sie,
Ebenso: Keine Pflichten ohne Rechte!“
Dies ist der letzte Kampf...
Scheußlich in ihrer Verklärung
Die Könige des Bergwerks und der Eisenbahn.
Haben sie etwas anderes getan,
Als die Arbeit auszuplündern?
In den Geldschränken der Bande
Ist das, was geschaffen wurde, zu Geld geworden.
Wenn das Volk beschließt, daß ihm zurückgegeben werden muß,
Will es nur haben, was ihm gehört.
Dies ist der letzte Kampf...
Die Könige benebeln uns mit Qualm,
Friede zwischen uns, Krieg den Tyrannen!
Wenden wir den Streik an in den Armeen.
Gewehrkolben nach oben, sprengen wir das Glied!
Wenn sie darauf bestehen, diese Kannibalen,
Aus uns Helden zu machen,
Werden sie bald erfahren, daß unsere Kugeln
Für unsere eigenen Generäle sind!
Dies ist der letzte Kampf...
Arbeiter, Bauern, wir sind
Die große Partei der Werktätigen;
Die Erde gehört nur den Menschen,
Die Müßiggänger sollen anderswo bleiben.
Wieviel weiden sich an unserem Fleisch!
Aber wenn die Raben und die Geier
Eines Morgens verschwunden sind,
Wird die Sonne immer scheinen.
Dies ist der letzte Kampf...
(Moßmann / Schleuning 1978, S. 178 ff.; Kurzke 1990, S. 120 f.)
Zum Titel des Liedes (s. Moßmann / Schleuning, S. 180): Er bezieht sich auf die „Internationale Arbeiterassoziation“, die 1864 in London gegründet worden war und deren Gründungsmanifest und die Statuten Karl Marx verfaßt hatte. Mitglieder waren vor allem englische und französische Arbeiter, aber auch Vertreter aus Deutschland, Italien, Polen und der Schweiz. Pottier gehörte zu den französischen Sektionen. In ganz Frankreich hatte die Internationale 245 000 Mitglieder.
Das Lied wurde zunächst in den Pariser Sektionen der „Internationalen Arbeiterassoziation“ gesungen. Mitte der neunziger Jahre wurde es in Deutschland bekannt und es tauchte um 1907 erstmalig in deutschen Arbeiterliederbüchern auf – „um von den Polizeibehörden sofort konfisziert zu werden! Auch Gefängnisstrafen wurden für das öffentliche Singen der Internationale verhängt“ (Lammel 1975, S 229).
Zur Melodie schreiben Mossmann und Schleuning: Sie „trägt wirklich alle Anzeichen des Außerordentlichen. Sie ist lang und differenziert, aus einem Guß, ohne schwache Stellen und verlegene Wendungen! Es ist, als ob hinter dieser Melodie ein erfahrener, feuriger Komponist stände, ein Verdi in seinen besten Jahren!“ Mossmann und Schleuning sehen Einflüsse französischer und italienischer Freiheitslieder, wie sie auch in vielen Opern der damaligen Zeit vorkamen (Mossmann / Schleuning 1978, S. 198 f.).
Im Laufe der Zeit entstanden zahlreiche melodische Varianten, die z. Tl. die differenzierte Melodie vereinfachten und glätteten (s. Moßmann / Schleuning 1978, S. 208 f.).
Zunächst war die „Internationale“ nur in Nordfrankreich bekannt, verbreitete sich aber gegen Ende des Jahrhunderts in ganz Frankreich und verdrängte bei den Sozialisten den Gesang der „Marseillaise“. Die weltweite Karriere des Liedes begann aber erst mit der Jahrhundertwende. In Deutschland erschienen seit 1901 verschiedene Textdrucke und Übersetzungen, 1910 der erste Notendruck, und zwar in einer Chorfassung (mit der Übersetzung Luckhardts) des für die Arbeiterchorbewegung wichtigen Komponisten und Dirigenten Adolf Uthmann.
Die „Internationale“ wurde nach der Oktoberrevolution Staatshymne der Sowjetunion. 1935 verschwand auf Druck Moskaus die fünfte Strophe aus der französischen Fassung (Einzelheiten dazu s. Moßmann / Schleuning 1978, S. 182 und 185). „Man fürchtete offenbar, die Aufforderung, auf die eigenen Generäle zu schießen, könnte auf eine unerwünschte Weise konkretisiert werden“ (Kurzke 1990, S. 112). 1943 – in der Stalinära – erhielt die Sowjetunion eine neue Hymne, die kein Revolutionslied mehr ist, sondern ein Preislied der Heimat und des Vaterlandes mit einer choralartigen Melodie (Verfasser der Melodie: Alexander Alexandrow). Als Parteihymne blieb die „Internationale“ bestehen.
„Mit dem Vordringen der Internationale in andere Länder um 1900 ergab sich das Problem der Übersetzungen. Meist stellen die Übersetzungen Bearbeitungen dar, schon durch die häufige Reduzierung der Strophenzahl“ (Moßmann / Schleuning 1978, S. 183). In Deutschland entstanden mehrere Fassungen, die sich eine Zeitlang nebeneinander hielten; allmählich setzte sich in der deutschen Arbeiterbewegung die seit 1910 belegte Version von Emil Luckhardt durch:
Wacht auf, Verdammte dieser Erde,
die stets man noch zum Hungern zwingt
Das Recht wie Glut im Kraterherde
Nun mit Macht zum Durchbruch dringt.
Reinen Tisch macht mit dem Bedränger!
Heer der Sklaven, wache auf!
Ein Nichts zu sein, tragt es nicht länger,
alles zu werden, strömt zuhauf!
Völker, hört die Signale!
Auf zum letzten Gefecht!
Die Internationale
Erkämpft das Menschenrecht!
Es rettet uns kein höh'res Wesen,
kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun.
Uns aus dem Elend zu erlösen,
können wir nur selber tun!
Leeres Wort: des Armen Rechte!
Leeres Wort: des Reichen Pflicht!
Unmündig nennt man uns und Knechte,
duldet die Schmach nun länger nicht!
Völker, hört...
In Stadt und Land, ihr Arbeitsleute,
wir sind die stärkste der Partei'n.
Die Müßiggänger schiebt beiseite!
Diese Welt muß unser sein;
Unser Blut sei nicht mehr der Raben
Und der nächt'gen Geier Fraß!
Erst wenn wir sie vertrieben haben,
dann scheint die Sonn' ohn' Unterlaß!
Völker, hört...
„Gegenüber dem Urtext kommt es zu einer Aufweichung der aggressiven Frontstellung im Sinne einer Verallgemeinerung, einer Romantisierung und einer Verbürgerlichung. Die radikalsten Partien fehlen“ (Kurzke 1990, S. 116). „Eine solche Romantisierungstendenz zeigt auch die gleichwohl sehr effektvolle Übersetzung des Refrains. Ein ‚letztes Gefecht‘ erinnert metaphorisch an vorindustrielle Treffen mit Degen und Säbel... Auch die im französischen Text fehlenden ‚Signale‘ (wohl Trompeten- oder Hornsignale) erinnern eher an Feldzüge der Feudalzeit als an moderne Arbeitskämpfe. Außerdem schwingt immer etwas Apokalyptisches mit bei der Vorstellung eines ‚letzten Gefechts‘, als werde danach endgültig die Heilszeit ausbrechen... Das ‚Menschenrecht‘ im deutschen Text ist eine Forderung der bürgerlichen, nicht speziell der proletarischen Revolution“ (Kurzke 1990, S. 116 f.).
Die Fassung von Luckhardt hat viele altertümliche sprachliche Wendungen. Es gab mehrere Versuche, die „Internationale“ neu zu übersetzen, so etwa von Erich Weinert (1890-1953). Als Weinert 1937 am Spanischen Bürgerkrieg teilnahm, schrieb er eine sechsstrophige Neufassung (s. Mossmann / Schleuning 1978, S. 191 f.), deren Refrain lautet:
Zum letzten Kampf! Ihr alle,
Ihr Völker im Verein!
Die Internationale
Wird alle Menschheit sein!
Mossmann / Schleuning halten diese Übersetzung für „hervorragend“, allerdings erfordere sie eine neue Melodie, denn sie passe schlecht auf die alte.
In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts erklang die „Internationale“ bei vielen Demonstrationen der Linken, im allgemeinen begleitet von einer Schalmeienkapelle. Mit dem Erstarken des Faschismus bzw. Nationalsozialismus gab es Versuche, durch Umtextierungen das ursprüngliche Lied zu verdrängen, so etwa mit der folgenden „Hitlernationale“ aus dem Jahr 1930 (gedruckt in „Deutschland erwache. Das kleine Nazi-Liederbuch“. 23. Auflage, Sulzbach [1931]):
Auf Hitlerleute, schließt die Reihen,
zum Rassenkampf sind wir bereit.
Mit unserem Blut wollen wir das Banner weihen,
Zum Zeichen einer neuen Zeit.
Auf rotem Grund in weißem Felde
Weht unser schwarzes Hakenkreuz.
Schon jubeln Siegessignale
Schon bricht der Morgen hell herein,
Der nationale Sozialismus
Wird Deutschlands Zukunft sein!
etc.
(Kurzke 1990, S. 124 f.)
Die Glanzzeit der „Internationale“ in Deutschland waren die Jahre nach der Oktoberrevolution bis 1933, als die Nationalsozialisten das Lied verboten. Wer es dennoch wagte, es zu singen, wurde mit Haft bestraft.
Eine wichtige Rolle spielte die „Internationale“ als Erkennungslied der internationalen Brigaden während des Spanischen Bürgerkriegs (1936–1939). 1938 erschien das von Ernst Busch herausgegebene Liederbuch des Spanischen Bürgerkriegs „Canciones de las Brigadas Internacionales“. Der Band enthielt Strophen der „Internationale“ in 14 verschiedenen Sprachen (s. Moßmann / Schleuning 1978, S. 254 ff.).
In der BRD wurde die „Internationale“ von der KPD und DKP tradiert. Eine Renaissance erlebte sie in der Studentenbewegung. Zu einer Wiederbelebung kam es auch 1989. Die Hunderttausende, die im Oktober 1989 in Leipzig demonstrierten, sangen die „Internationale“ – nicht für, sondern gegen den kommunistischen Staat. „Die singende Menge mißt den kommunistischen Staat an seiner eigenen Tradition und wendet sich gegen ihn. Der Bedränger ist nicht mehr der Kapitalist, sondern die Nomenklatura, und als Heer der Sklaven versteht sich das der Theorie nach längst befreite Volk. Wieder einmal ... zeigt sich, wie leicht sich die alten revolutionären Lieder gegen die zur Herrschaft gekommene Revolution wenden können“ (Kurzke 1990, S. 118 ).
Die „Internationale“ hat auch in verschiedene Kompositionen Eingang gefunden. So etwa bei Karl Amadeus Hartmann (s. Heister in: Die dunkle Last. Musik und Nationalsozialismus, hg. v. B. Sonntag, H.-W. Boresch, D. Gojowy, Köln 1999 ). – Karlheinz Stockhausen hat die „Internationale“ und einige Nationalhymnen in seiner Komposition „Hymnen“ (1967/68 ) verarbeitet.
„Lili Marleen“
Literatur:
Lale Andersen: Der Himmel hat viele Farben. Leben mit einem Lied. Stuttgart 1972
Hans Leip: Die Hafenorgel. Frankfurt am Main, Hamburg 1964. Neuausgabe München 1981
Hans Leip: Die wahre Geschichte der Lili Marleen. Berlin 1950
Rudolf Walter Leonhardt: Lieder aus dem Krieg. München 1979
Litta Magnus-Andersen: Lale Andersen – die Lili Marleen. München 1981
Werner Mezger: Schlager. Tübingen 1975. S. 134-138
Christian Peters: Lili Marleen. Ein Schlager macht Geschichte. Bonn 2001 (hier noch weitere Literaturangaben)
Wilhelm Schepping: Liedmonographie als „Liedbiographie“. Die Wirkungsgeschichte von „Lili Marlen“ als Paradigma. In: ad marginem 44/1979
Wilhelm Schepping: Zeitgeschichte im Spiegel eines Liedes. Der Fall „Lili Marleen – Versuch einer Summierung. In: Festschrift für Ernst Klusen, hg. von Günther Noll u. Marianne Bröcker. Bonn 1984. S. 435-464
Norbert Schultze: Mit dir, Lili Marleen. Die Lebenserinnerungen des Komponisten Norbert Schultze. Zürich und Mainz 1995
Tonträger:
Schallplatten C 781, C 1192
CD 273 „Musik vom Deutschlandsender. Originalaufnahmen aus der Zeit von 1939 bis 1945“
CD-Cassette „Entartete Musik“, CD 4 „Widerstand“ (Lucie Mannheim mit Parodie).
CD „American War Songs 1933-1947 (CD ; darauf Marlene Dietrich mit „Lili Marleen“)
Doppel-CD „Lili Andersen" – Lale Marleen“. Die Geschichte einer Legende von Bettina Hindemith und Sabine Milewski. hr (audio)
1915, während des Ersten Weltkriegs, schrieb Hans Leip die erste Textfassung von „Lili Marleen“. Sie erschien 1937 um 2 Strophen erweitert in der Gedichtsammlung „Kleine Hafenorgel“. 1935 wurde das Lied als Chanson in einer – heute nicht mehr bekannten – Vertonung von Rudolf Zink (1910–1983) in einem Schwabinger Kabarett dargeboten. Die Sängerin war Lale Andersen (1905–1972), die damals noch unter dem Namen Lieselotte Wilke auftrat. 1938 entstand die Vertonung von Norbert Schultze. Der Komponist hatte den Text in Hans Leips „Kleiner Hafenorgel“ von 1937 gefunden.
Biographische Daten zu Norbert Schultze:
geb. 1911; Kindheit und Jugend in Braunschweig; seit 1929 Studium an der Kölner Musikhochschule
1931 Umzug nach München, wo er 4 Jahre lang unter dem Pseudonym Frank Norbert in dem Studentenkabarett die „Vier Nachrichter“ gemeinsam mit Kurd E. Heyne, Bobby Todd und Helmut Käutner auftrat. In der Münchener Zeit lernte Schultze 1932 Lale Andersen kennen.
1936 komponierte Schultze die Oper „Schwarzer Peter“, die in der Hamburgischen Staatsoper uraufgeführt wurde und mit der er erfolgreich war. Später schrieb er noch weitere Opern.
Während des Krieges erhielt er die Gelegenheit, Filmmusiken zu komponieren. Der Regisseur Hans Bertram stellte im Auftrag des Luftfahrtministeriums den Propagandafilm „Feuertaufe“ her, zu dem Schultze Musik schrieb, u. a. das Lied „Bomben auf Engelland“ (Text: Wilhelm Stöppler), das ihm den Spitznamen „Bomben-Schultze“ einbrachte:
Wir fühlen in Horsten und Höhen
Des Adlers verwegenes Glück.
Wir stürmen zum Tor
Der Sonne empor.
Wir lassen die Erde zurück.
Kamerad! – Kamerad!
Alle Mädels müssen warten!
Kamerad! – Kamerad!
Der Befehl ist da: Wir starten!
Die Losung ist bekannt:
Bomben – Bomben –
Bomben auf Engelland!
(Schultze 1995, S. 69)
Schultze schrieb weitere Lieder für die Nazi-Propaganda.
1944 Mitarbeit Schultzes an dem UFA-Film „Kolberg“ mit dem Regisseur Veit Harlan.
1945 erhielt Schultze drei Jahre Berufsverbot. 1948 erfolgte seine formale „Entnazifizierung“.
1951 wanderte er mit seiner Familie nach Brasilien aus, kehrte aber schon nach einem Jahr nach Deutschland zurück. Produzierte nun wieder zahlreiche Filmmusiken, Lieder und Chansons.
„Lili Marleen“ war anfänglich nicht besonders erfolgreich. Beim Rundfunk wurde das Lied abgelehnt, ebenso vom Verleger Sikorski. Schultze bot Liselotte Wilke, die sich inzwischen Lale Andersen nannte, seine Vertonungen aus der „Kleinen Hafenorgel“ an. Sie sang bald darauf die „Lili Marleen“ im Rundfunk. Bei der Plattenfirma ELECTROLA wurde das Lied schließlich akzeptiert: „Da die Wehrmacht anscheinend ‚stark im Kommen sei‘, habe das Kasernenlied vielleicht eine Chance, wenn man es ‚Lied eines jungen Wachtpostens‘ nennt“ (Schultze 1995, S. 64 ). Die Aufnahme sollte mit einem preußischen Zapfenstreich beginnen, im Hintergrund ein Soldatenchor, „dezenter Marschrhythmus“ (Schultze 1995, S. 64 ). (Das Arrangement stammte nicht von Schultze.) 1940 erschien „Lili Marleen“ im Druck in einem „hölzernen Klaviersatz“, wie Schultze schreibt, der „auch noch den Marschrhythmus von der ELECTROLA-Platte“ übernommen habe (vgl. die CD „Musik vom Deutschlandsender. Originalaufnahmen aus der Zeit von 1939 bis 1945“).
Seit dem Sommer 1941 gab es plötzlich und gänzlich unerwartet eine enorme Nachfrage nach „Lili Marleen“ bzw. dem „Lied eines jungen Wachtpostens“. Der Grund war, daß der Soldatensender Belgrad (Welle 437,3) dieses Lied seit einiger Zeit sendete. Eine Gruppe junger Soldaten (im Zivilberuf Funktechniker vom Berliner Rundfunk) hatte im April 1941 den Auftrag erhalten, in Jugoslawien einen Soldatensender zu installieren. Im kriegszerstörten Belgrad errichteten sie einen Sendebetrieb. Einer von ihnen hatte aus Wien einen Stapel Schallplatten mitgebracht, darunter eine Aufnahme der „Lili Marleen“. Das „Lied eines jungen Wachtpostens“ mit dem Zapfenstreichsignal in der Aufnahme mit Lale Andersen erschien den Programmgestaltern als Sendeschluss besonders geeignet. Als es zeitweilig abgesetzt wurde, gab es Proteste. Da der Soldatensender Belgrad seine Feldpostnummer bekanntgab, kam jeden Tag mehr Post an, die erkennen ließ, dass die Sendung in vielen Ländern, sogar bei Rommels Truppen in Afrika, gehört wurde. „Das Lied trifft im dritten Kriegsjahr die armen Frontschweine mitten ins Herz!“ (Schultze 1995, S. 78 ) Es wurde zum „Symbol für Heimweh, Trennung und Sehnsucht..., vor allem für Hoffnung auf Wiedersehen. Die Zeit – der Krieg, der immer furchtbarer wird, die Umstände haben das bewirkt“ (Schultze 1995, S. 78 ).
Aufgrund des großen Echos wurde beim Soldatensender Belgrad eine allabendliche Sendung mit dem Titel „Der junge Belgrader Wachtposten“ eingerichtet. Darin wurden Briefe von zuhause an die Front und von der Front in die Heimat verlesen. Die Sendung endete kurz vor zehn Uhr mit Lale Andersens „Lili Marleen“. „Tatsächlich, Briefe bezeugen es, schwiegen während der Zeit die Waffen, und der Feind, erstmals in einem Kriege, hörte mit. ‚Überall in der Wüste‘, notierte ein britischer Kriegsberichter, ‚pfiffen englische Soldaten das Lied‘“ (DER SPIEGEL, Nr. 4/1981, S. 173). „In einer Zeit, wo man zuhause von denen da draußen oft nur die Feldpostnummer kennt, mehr nicht, ist diese Verbindung für viele Menschen oft die schnellste und sicherste, um persönliche Grüße und familiäre Nachrichten zu übermitteln“ (Schultze 1995, S. 80).
„Lili Marleen“ avancierte innerhalb von kurzer Zeit zum populärsten Schlager des Zweiten Weltkriegs. Das Lied übersprang politische Grenzen und feindliche Fronten, es wurde in viele Sprachen übersetzt. Die Bekanntheit von „Lili Marleen“ über nationale Grenzen hinweg wurde auch durch das Massenmedium Radio ermöglicht, das erstmals „mit in den Krieg gezogen“ war (DER SPIEGEL, Nr. 4/1981, S. 172).
„Lili Marleen“ wurde sowohl von Nazis als auch von deren Gegnern gesungen: Von den Nazis wurde sie zeitweilig als Propagandamittel gebraucht, doch Goebbels brandmarkte sie als „defätistisch“ und „wehrkraftzersetzend“, konnte aber nicht verhindern, daß sie weiterhin ausgestrahlt und gesungen wurde. Zugleich faszinierte „Lili Marleen“ die Gegner der Nationalsozialisten. Die englische Fassung „Underneath the lantern“ sang Marlene Dietrich, die 1937 den Entschluß gefaßt hatte, nicht mehr nach Hitler-Deutschland zurückzukehren.
Mezger weist auf die merkwürdige Tatsache hin, daß „Lili Marleen“ „stets“ von Frauen gesungen wurde (was nicht ganz zutrifft, es gab auch männliche Sänger), „obwohl der Inhalt des Liedes, in dem ein Soldat ein Mädchen besingt, eigentlich männliche Interpreten verlangt hätte“. Dazu schrieb Siegfried Schmidt-Joos: Im Zweiten Weltkrieg mußten Männer und Frauen voneinander getrennt leben, damals „schufen singende Frauen für die Männer so etwas wie eine Ersatzvorstellung: Ihre Fotos schmückten die Spindtüren und Bunkerwände der Soldaten. Ihre Stimmen waren im Ohr der Männer, wenn sie an daheim dachten“ (Schmidt-Joos: Geschäfte mit Schlagern, S. 41).
„Wann ... Forts. näch