micha hat geschrieben:Zitat eines Links
http://www.uni-koeln.de/ew-fak/Mus_volk ... t/20Jh.htm Mit ausdrücklicher schriftlicher Erlaubnis der Seminar Leiterin Probst-Effah, darf hier im Forum auf das Seminar Ergebnis zurück gegriffen werden.
Das „Dritte Reich“: Am 19. Mai 1933 erklärte Adolf Hitler im „Reichsgesetz zum Schutz nationaler Symbole“ das nationalsozialistische „Horst-Wessel-Lied“ („Die Fahne hoch“; s.u.) zum offiziellen Zusatz des Deutschlandliedes, von dem nun die erste Strophe gesungen wurde. Seit 1940 mussten Deutschland- und Horst-Wessel-Lied gemeinsam aufgeführt werden. Diese Doppelhymne wurde – wie auch viele andere nationalsozialistische oder nationalsozialistisch belastete Lieder – am 14. Juli 1945 durch den Alliierten Kontrollrat verboten.
Auch während des „Dritten Reiches“ kursierten (sowohl pro- als auch antinationalsozialistische) Parodien des Deutschlandliedes. „Mit dem Anschluß Österreichs und der Besetzung Dänemarks und der Niederlande hatte auch das Von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt erneut seinen Status geändert. Aus der Utopie war ... Realität geworden, die Sehnsucht schien erfüllt“ (Kurzke 1990, S. 48 f.). Deshalb sangen deutsche Soldaten:
Von der Maas bis an die Memel,
Von der Etsch bis an den Belt
Stehen deutscher Männer Söhne
Gegen eine ganze Welt
(aus: Soldatenliederbuch, hg. vom Generalkommando des VII Armeekorps, 2. Aufl. München 1940; zit. nach Kurzke 1990, S. 49)
Nach 1945 verboten die Alliierten das Spielen und Singen des Horst-Wessel-Liedes und des Deutschlandliedes. Als problematisch galten und gelten nicht nur die ersten zwei Zeilen der ersten Strophe, sondern vor allem auch die Grenzziehung: Maas, Etsch und Belt markierten 1841 die Grenzen eines Staatenpaktes namens „Deutscher Bund“, wobei die Memel schon außerhalb dieser Grenzen lag, aber zu Preußen gehörte. Dieser historische Bezug wird aber überlagert durch die Erinnerung an Hitlers aggressive Expansionspolitik.
„Dies wäre wohl vermieden worden, wenn die verpönte erste Strophe nur die Nachkriegsgrenzen beider deutscher Staaten nennen würde. Warum nicht ‚von der Maas bis an die Oder, von den Alpen bis zum Belt‘?“ (Knopp Kuhn 1988, S. 14). Solche pragmatischen Überlegungen fanden nach 1945 nicht statt, man wollte anscheinend den „authentischen“ Text bewahren. Andere Nationen hatten bei Textänderungen weniger Bedenken: Die französische Hymne wurde mehrfach umgedichtet, ebenso die sowjetische u.v.a.Schon vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland am 20. September 1949 gab es viele Diskussionen und Auseinandersetzungen um das „Lied der Deutschen“ als Staatssymbol des neuen demokratischen Staates. Im Artikel 22 des Grundgesetzes vom 25. Mai 1949 ist nur die Bundesflagge „Schwarz-Rot-Gold“ festgelegt; die Frage der Nationalhymne wurde ausgespart. Für viele Parlamentarier blieb das „Deutschland über alles“ – trotz aller gutgemeinten Deutungen – zu missverständlich.
Es gab starke Einwände gegen das Deutschlandlied, weil es im „Dritten Reich“ missbraucht worden war. Ein ehemaliger Häftling, der Publizist Axel Eggebrecht, erinnerte sich: „Im KZ mußten wir die heiligen Worte Recht und Freiheit nach Kommando herausbrüllen. Wächter mit Knüppeln umstanden uns, brüderliche Gesangslehrer. Und da sollen wir nun wieder singen, als sei nichts gewesen?“ (Knopp / Kuhn 1988, S. 108 ).
Dass eine Nationalhymne nach 1945 fehlte, machte sich u.a. bei internationalen Sportveranstaltungen bemerkbar. Offiziell vorgesehen war für solche Gelegenheiten Schiller/Beethovens „Freude, schöner Götterfunken“. Es kam aber auch vor, dass anstelle einer Hymne der Kölner Karnevalsschlager von 1948 „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“ gespielt wurde oder aber „In München steht ein Hofbräuhaus“ und bei Auftritten Konrad Adenauers „Heidewitzka, Herr Kapitän“.
In der BRD setzte sich Bundeskanzler Adenauer für das „Lied der Deutschen“ ein, ebenso der Vorsitzende der SPD Kurt Schumacher – im Gegensatz zu den meisten SPD-Mitgliedern. Der damalige Bundespräsident Theodor Heuss (FDP) hatte Bedenken. Im August 1950 ließ er mitteilen, dass bis zum Vorliegen einer neuen deutschen Nationalhymne das Lied „Ich hab mich ergeben“ gesungen werden solle (Knopp / Kuhn 1988, S. 104). Heuss wünschte sich eine neue Nationalhymne. In einem Schreiben vom September 1950 an Carl Orff (den Heuss als Komponist einer neuen Nationalhymne auserkor, der lehnte aber ab) äußerte er die folgenden Bedenken gegenüber Hoffmann von Fallerslebens Text:
„... die erste Strophe paßt nicht mehr in die geschichtliche Landschaft, die zweite ist zu trivial und immer trivial gewesen, die dritte allein für sich wenig. Die mannigfaltigen Versuche, auf die Haydnsche Melodie einen neuen Text zu stülpen, halte ich für aussichtslos. Ich glaube, die Deutschen genug zu kennen, um zu wissen, daß dann die ‚loyalen‘ Patrioten den sogenannten amtlichen Text, die ‚militanten‘ Patrioten ... den Hoffmannschen Text singen, und wir kommen aus dem ewigen Sängerwettstreit der stärkeren Stimmen nicht heraus“ (Knopp / Kuhn 1988, S. 105).
Bundeskanzler Adenauer rief heftige Reaktionen im In- und Ausland hervor, als er am 18. April 1950 anläßlich eines Besuchs in Berlin bei einer Kundgebung im Titania-Palast die dritte Strophe „Einigkeit und Recht und Freiheit“ anstimmte. Er wollte eine Entscheidung in der Hymnenfrage provozieren (Ragozat 1982, S. 62). Adenauer forderte die Versammlung zum Mitsingen auf. Der Parteivorstand der SPD verließ den Raum, während die drei Westberliner Kommandanten sich von ihren Sitzen erhoben. Im Ausland gab es Kritik an Adenauers Vorgehen.
Noch wollte Heuss das Lied von R.A. Schröder und Hermann Reutter „Land des Glaubens“ als Bundeshymne durchsetzen. Zum Jahreswechsel 1950/51 erklang dieses Lied nach der Rundfunkansprache des Staatsoberhauptes über alle westdeutschen Sender. Die Öffentlichkeit blieb reserviert. Der Dichter Gottfried Benn schrieb: „Und nun die neue Nationalhymne. Der Text ganz ansprechend, vielleicht etwas marklos. Der nächste Schritt wäre dann ein Kaninchenfell als Reichsflagge“ (Knopp / Kuhn 1988, S. 107). Die „Frankfurter Rundschau“ sah sich erinnert an Gesänge der Hitlerjugend zu Morgenfeiern und Sonnwendfeiern, wohl auch, weil R. A. Schröder eine NS-Vergangenheit hatte .
In seinem Brief an Adenauer vom 2. Mai 1952 gab Heuss schließlich nach: „Als mich die Frage nach einer Nationalhymne bewegte..., glaubte ich, daß der tiefe Einschnitt in unserer Volks- und Staatsgeschichte einer neuen Symbolgebung bedürftig sei... Ich weiß heute, daß ich mich täuschte... Ich habe den Traditionalismus und sein Beharrungsbedürfnis unterschätzt“ (Knopp / Kuhn 1988, S. 110). Der Bundespräsident erklärte sich bereit, unter Verzicht auf eine feierliche Proklamation der Bitte der Bundesregierung um Wiedereinführung des ‚Deutschlandliedes‘ als Staatssymbol der Bundesrepublik Deutschland zu entsprechen (Ragozat 1982, S. 63; Knopp /Kuhn 1988, S. 110). Als Stunde der Wiedergeburt gilt der 6. Mai 1952. An diesem Tag veröffentlichte das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung eine Erklärung (Wortlaut siehe Ragozat 1982, S. 63). Es wurde darin betont, daß bei staatlichen Veranstaltungen die dritte Strophe gesungen werden solle, obgleich alle Strophen des Liedes als Nationalhymne anerkannt seien. Diese Regelung – dass zwar alle Strophen als Nationalhymne anerkannt sind, jedoch bei staatlichen Veranstaltungen nur die dritte Strophe gesungen werden solle – führte immer wieder zu Irritationen; immer wieder war es die erste Strophe, die Anstoß erregte.
In den langjährigen Diskussionen wies die parlamentarische Opposition auf die unangenehmen Erinnerungen hin, die das Deutschlandlied durch seine Verwendung im „Dritten Reich“ bei vielen hervorrief, doch ging die SPD nach und nach dazu über, die Hymne zu tolerieren. Im Ausland waren die Reaktionen geteilt. Im Ostblock gab es scharfe Ablehnung, während die drei Hohen Kommissare in Bonn übereinstimmend erklärten, es sei „deutsche Angelegenheit, die Nationalhymne zu bestimmen“. Der amerikanische Hohe Kommissar McCloy meinte. es sei nicht entscheidend, was die Völker singen, sondern wie sie handeln (Knopp / Kuhn 1988, S. 113 f.).
Es gab bis in die sechziger Jahre keine getrennten Olympiamannschaften der BRD und der DDR, sondern nur eine gesamtdeutsche Mannschaft. Daher mussten bei den Olympiaden in Rom 1960 und Tokio 1964 Kompromisse gefunden werden: Die deutschen Sportler wurden damals mit Beethovens Hymne „An die Freude“ geehrt. Erst seit 1968 traten auf Beschluss des Olympischen Komitees die Sportler aus der Bundesrepublik Deutschland und der DDR mit eigener Flagge und Hymne an.
Auch nachdem das Deutschlandlied seit 1952 offizielle Hymne war, gab es weiterhin zahlreiche Auseinandersetzungen. Das zeigt z.B. seine Behandlung in den Funkhäusern der einzelnen ARD-Anstalten. Anfang 1974 erklang die dritte Strophe nur noch am Sendeschluss im Bayerischen und Hessischen Rundfunk und im Sender Freies Berlin. Der Westdeutsche Rundfunk hatte zu dieser Zeit die Ausstrahlung der Hymne eingestellt, nahm sie bald aber wieder im dritten Programm auf (Knopp / Kuhn 1988, S. 124). 1977 regte Bundespräsident Walter Scheel an, im Fernsehen an vier herausgehobenen Tagen des Jahres das Deutschlandlied zu spielen: am 23. Mai, dem Tag der Verabschiedung des Grundgesetzes (Verfassungstag); am 17. Juni, dem Tag der deutschen Einheit; am 20. Juli, dem Gedenktag für die Widerstandskämpfer gegen das Naziregime; am Volkstrauertag (2 Sonntage vor dem 1. Advent). Am 8. März 1985 votierte der Fernsehrat des ZDF einstimmig für die tägliche Ausstrahlung der Nationalhymne zum Programmschluss; kurz darauf folgte die ARD.
In den Schulen gehört die dritte Strophe des Deutschlandliedes zu den für das 4. Schuljahr verbindlichen Lerninhalten. Auch hier erregte die erste Strophe mehrmals Anstoß: So gab es im Frühjahr 1978 in Baden-Württemberg einen Parteienstreit, als der damalige Ministerpräsident Filbinger an alle Schulen des Landes eine mit allen drei Strophen besungene Schallplatte, dargeboten von dem Sänger Heino, schicken wollte. In Berlin gab es Ärger, als der Charlottenburger Volksbildungsstadtrat Roeseler die drei Strophen des Deutschlandliedes an die Lehrer mit der Anweisung schickte, den Text allen Kindern des Bezirks in den vierten Klassen bekannt zu machen. Es gab Proteste von SPD- und FDP-Stadträten, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft reichte Klage ein (Knopp / Kuhn 1988, S. 126 f.). Stein des Anstoßes war dabei die belastete erste Strophe.
Ein Briefwechsel zwischen Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Bundeskanzler Helmut Kohl vom August 1991 legte für das wiedervereinte Deutschland fest, dass seit dem 3. Oktober 1990 die Nationalhymne der bisherigen Bundesrepublik – reduziert auf ihre dritte Strophe – „für das vereinte deutsche Volk gilt“. Die erste Strophe ist nicht verboten, jedoch bei staatlichen Anlässen verpönt.
Aber nicht erst seit 1945, sondern von Anfang an war das „Deutschlandlied“ umstritten. Schon Friedrich Nietzsche äußerte dazu: „...die blödsinnigste Parole, die je gegeben worden ist“ (Ragozat 1982, S. 61). Der Historiker Golo Mann hingegen nannte den Text „zarteste Lyrik“ (Knopp/ Kuhn 1988, S. 7). Er betont, daß andere Hymnen viel aggressiver seien: Die Marseillaise strotze geradezu vor Militarismus. Da werde „zu den Waffen“ gerufen, da spritze Blut („Qu’un sang impur abreuve nos silons“ – „Das unreine Blut tränke unserer Äcker Furchen“), werde den Feinden Frankreichs Rache angedroht. In der US-Hymne läßt Autor Francis Scott Key das Sternenbanner wehen – „hoch und tapfer“, „unter den Blitzen der Schlacht“.
Das Deutschlandlied „ist ein Paradebeispiel dafür, daß es keinen Text an sich gibt, sondern nur einen Text, der von ganz bestimmten Lesern (Sängern) mit einem ganz bestimmten Erwartungshorizont verwendet wird ... Jede Epoche der deutschen Geschichte sang mit denselben Worten ein anderes Lied“ (Kurzke 1990, S. 50).