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Beitrag von Gast » 17.03.2012, 17:51

Beitrag von micha » 18.08.2006, 08:01

Fortsetzung und Schluss

Das Moorsoldatenlied

Literatur:

Buchenwald: ein Konzentrationslager. Bericht der ehemaligen Häftlinge Emil Carlebach u. a.. 2. Aufl. Berlin 1988
Eisler, Hanns: Bericht über die Entstehung eines Arbeiterliedes. In: Musik und Politik. Schriften 1924-1948, hg. v. Günter Meyer. München 1973. S. 274-280
Fackler, Guido: „Des Lagers Stimme“. Musik im KZ. Alltag und Häftlingskultur in den Kon­zentrationslagern 1933 bis 1936. Bremen 2000
Kogon, Eugen: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager. Berlin 1947. Neuaufl. Stuttgart, Hamburg, Mün­chen 1974
Das Lagerliederbuch. Lieder, gesungen, gesammelt und geschrieben im Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin 1942. Dortmund 1980
Lammel, Inge: Das Arbeiterlied. Leipzig 1975
Lammel, Inge, und Günter Hofmeyer (Hg.): Lieder aus den faschistischen Konzentrationsla­gern. Leipzig 1962 (Das Lied – im Kampf geboren, H. 7)
Langhoff, Wolfgang: Die Moorsoldaten. 13 Monate KZ. Zürich 1978 (1. Aufl. 1935)
Mall, Volker: Lied im Unterricht: „Die Moorsoldaten“. In: Musik und Bildung 11 (1979) S. 686-690
Naujoks, Harry: Mein Leben im KZ Sachsenhausen 1936-1942. Erinnerungen des ehemaligen Lagerältesten. Köln 1987
Probst-Effah, Gisela: Lieder gegen „das Dunkel in den Köpfen“. Untersuchungen zur Folk­bewegung in der Bundesrepublik Deutschland. Essen 1995
Probst-Effah, Gisela: Das Moorsoldatenlied. In: Jahrbuch für Volksliedforschung, im Auftrag des Deutschen Volksliedarchivs hg. von Otto Holzapfel. Jg. 40 (1995), S. 75–83
Schaul, Dora (Hg.): Résistance. Erinnerungen deutscher Antifaschisten. Frankfurt am Main 1975
Sofsky, Wolfgang: Die Ordnung des Terrors: Das Konzentrationslager. Frankfurt am Main 1993
Suhr, Elke, und Werner Boldt: Lager im Emsland 1933–1945. Geschichte und Gedenken. Ol­denburg 1985

Die Moorsoldaten (Originalfassung)

Wohin auch das Auge blicket,
Moor und Heide nur ringsum.
Vogelsang uns nicht erquicket,
Eichen stehen kahl und krumm.
Wir sind die Moorsoldaten
und ziehen mit dem Spaten
ins Moor!
Hier in dieser öden Heide
ist das Lager aufgebaut,
wo wir fern von jeder Freude
hinter Stacheldraht verstaut.
Wir sind die Moorsoldaten...
Morgens ziehen die Kolonnen
in das Moor zur Arbeit hin.
Graben bei dem Brand der Sonne,
doch zur Heimat steht der Sinn.
Wir sind die Moorsoldaten...
Heimwärts, heimwärts jeder sehnet,
zu den Eltern, Weib und Kind.
Manche Brust ein Seufzer dehnet,
weil wir hier gefangen sind.
Wir sind die Moorsoldaten...
Auf und nieder gehn die Posten,
keiner, keiner kann hindurch.
Flucht wird nur das Leben kosten,
vierfach ist umzäunt die Burg.
Wir sind die Moorsoldaten...
Doch für uns gibt es kein Klagen,
ewig kann's nicht Winter sein.
Einmal werden froh wir sagen:
Heimat, du bist wieder mein.
Dann ziehn die Moorsoldaten
nicht mehr mit dem Spaten
ins Moor!

(Lammel/Hofmeyer 1962, S. 14 f.)

Das Moorsoldatenlied – auch „Moorlied“ oder nach seinem Ent­stehungsort „Börgermoorlied“ genannt – ist eines der frühesten Lieder aus den nationalsozialistischen Konzentrationslagern und das bekannteste unter mehreren „Moorliedern“ (vgl. Lammel/Hofmeyer 1962, S. 11 ff.). Es entstand 1933 im KZ Börgermoor bei Papenburg, einem von fünfzehn Gefangenenlagern im Emsland, in denen seit dem Beginn der Nazi-Diktatur überwiegend politische Oppositio­nelle aus dem Rhein- und Ruhrgebiet – in der Mehrzahl Kommunisten – inhaftiert waren.

Es war die Aufgabe der Häftlinge, riesige Moorflächen mit Schaufeln und Hacken, ohne die Hilfe von Maschinen zu kultivieren: Arbeit in den Konzentrationslagern zielte nicht auf Ge­winn und Nutzen, sondern bezweckte die Schinderei und Vernichtung von Menschen (vgl. Sofsky 1993, S. 193 ff.).

Das Moorsoldatenlied wurde im Sommer 1933 anläßlich einer Kulturveranstaltung im Lager, des „Zirkus Konzentrazani“, verfaßt, die die Häftlinge als Antwort auf ein nächtliches Po­grom der SS inszenierten. Sie beabsichtigten mit ihren Darbietungen u.a., den SS-Leuten, „den Unterschied zwischen ihrer eigenen primitiven und der Lebensauffassung ihrer politi­schen Gegner vor Augen zu führen“ (Lammel/Hofmeyer 1962, S. 16).

Der Bergmann und Arbeiterdichter Johann Esser aus Rheinhausen verfasste sechs Strophen, die der Schauspieler und Regisseur Wolfgang Langhoff in ihre heute bekannte Form brachte. Rudi Goguel, ein kaufmännischer Angestellter mit musikalischer Ausbildung – später war er als Journalist und Historiker tätig (Fackler 2000, S. 246) – erfand zu dem Text eine Melodie und schrieb dazu einen vierstimmigen Satz für Männerchor. Abends wurde im Waschraum von Block 8 heimlich geprobt, während einige „Schmiere“ standen und vor herannahenden SS-Leuten warnten.

Am Sonntagnachmittag des 27. August 1933 wurde das Moorsoldatenlied uraufgeführt. Rudi Goguel und Wolfgang Langhoff haben dieses Ereignis eindrucksvoll beschrieben: „Die sech­zehn Sänger, vorwiegend Mitglieder des Solinger Arbeitergesangvereins, marschierten in ih­ren grünen Polizeiuniformen (unsere damalige Häftlingskleidung) mit geschultertem Spaten in die Arena, ich selbst an der Spitze in blauem Trainingsanzug mit einem abgebrochenen Spatenstiel als Taktstock. Wir sangen, und bereits bei der zweiten Strophe begannen die fast 1000 Gefangenen den Refrain mitzusummen. Von Strophe zu Strophe steigerte sich der Re­frain, und bei der letzten Strophe sangen auch die SS-Leute, die mit ihrem Kommandanten erschienen waren, einträchtig mit uns mit... Bei den Worten ‚Dann ziehn die Moorsoldaten nicht mehr mit dem Spaten ins Moor‘ stießen die sechzehn Sänger die Spaten in den Sand und marschierten aus der Arena, die Spaten zurücklassend, die nun, in der Moorerde steckend, als Grabkreuze wirkten“ (Lammel/Hofmeyer 1962, S. 17).

Nicht nur die Häftlinge, sondern auch die SS-Leute waren von der Darbietung überwältigt: „Ich sah den Kommandanten. Er saß da, den Kopf nach unten und scharrte mit dem Fuß im Sand. Die S.S. still und unbeweglich. – Ich sah die Kameraden. Viele weinten“ (Langhoff 1978, S. 192). Nach der Aufführung des Moorsoldatenliedes soll es zu politischen Gesprä­chen zwischen Häftlingen und SS-Leuten gekommen sein (Langhoff 1978, S. 195), aber auch zu handgreiflichen Auseinandersetzungen unter der SS, die auf das Lied teils begeistert, teils ablehnend reagierte (Lammel/Hofmeyer 1962, S. 17). Zwei Tage nach der Veranstaltung durfte es nicht mehr gesungen werden, aber sogar SS-Leute sollen sich dem Verbot widersetzt haben (Langhoff 1978, S. 194).

Das Moorsoldatenlied wurde inner- und außerhalb der nationalsozialistischen Lager und Ge­fängnisse vor allem durch entlassene oder in andere Lager und Gefängnisse überführte Häft­linge, deren Sympathisanten oder auch durch SS-Leute schnell bekannt. Vermutlich über das Lager Esterwegen gelangte es in das KZ Sachsenhausen und von dort aus später nach Bu­chenwald. Aus Sachsenhausen sind mehrere Liederbücher überliefert, die das „Moorlied“ enthalten. Wolfgang Langhoff emigrierte nach seiner Entlassung aus dem Konzentrationsla­ger im Jahr 1934 in die Schweiz. 1935 erschien im Züricher Spiegel-Verlag sein Bericht „Die Moorsoldaten“, der die Erlebnisse in deutschen Gefängnissen und Konzentrationslagern schildert. Das Buch, das schon kurz nach der Veröffentlichung in sieben weitere Sprachen übersetzt wurde, enthält auch das Moorsoldatenlied und dessen Entstehungsgeschichte.

Das Lied ist in verschiedenen Varianten überliefert, seine Urfassung nicht bekannt. Textliche und melodische Abweichungen kamen vermutlich durch Übertragungs- und Erinnerungsfeh­ler bei dem teils schriftlichen, teils mündlichen Tradierungsprozess zustande.

Im Ausland wurde das „Moorsoldatenlied“ vor allem durch Exilanten verbreitet. 1935 lernte der Komponist Hanns Eisler es während eines Aufenthaltes in London durch einen ehemali­gen Häftling, der ein Polizeispitzel gewesen sein soll (Lammel/Hofmeyer 1962, S. 18 ), ken­nen. Er schrieb die ihm mitgeteilte Melodie für den Sänger Ernst Busch auf, der wiederum das Lied mit nach Spanien nahm, wo es während des Bürgerkrieges (1936–1939) in das Re­pertoire der Internationalen Brigaden gelangte, so daß Menschen vieler Nationalitäten es ken­nenlernten. Es wurde damals in viele Sprachen übersetzt.

Rudi Goguel hat den konkreten musikalischen Bezug der Originalmelodie zur Situation im KZ Börgermoor betont: „Die drei gleichbleibenden Töne, mit denen das Lied beginnt, sollten die Öde des Moores und die schwere Situation charakterisieren, unter der die Moorsoldaten leben mußten“ (Lammel/Hofmeyer 1962, S. 17). Die Tonrepetition am Beginn der ersten und dritten Zeile wurde von den Häftlingen als prägnanter musikalischer Ausdruck ihrer Misere empfunden. In Eislers Fassung des Liedes sind diese charakteristischen Tonwiederholungen durch einen Quartschritt ersetzt (vgl. Lammel/Hofmeyer 1962, S. 18 ). In der veränderten Melodie glaubte Eisler u.a. Reminiszenzen an „ein Lied aus dem Dreißigjährigen Krieg“ („Horch, Kind, horch, wie der Sturmwind weht“) zu entdecken, und im Wechsel des Refrains nach Dur vermutete er Anklänge an „den russischen revolutionären Trauermarsch“ (Eisler 1973, S. 276). „Horch, Kind, horch“ wurde jedoch viel später verfasst: Die Melodie zu dem Text von Ricarda Huch entstand in der Jugendbewegung. Eislers – irrtümlich oder beabsich­tigt – fehlerhafte Interpretation (vgl. Mall 1979) steigerte die geschichtliche Bedeutsamkeit des Moorsoldatenliedes und trug erheblich zu seiner ideologisch verklärten Mythisierung bei. Sein Ursprungsort und Entstehungsanlass verblassten zu einer Etappe in dem epochenüber­greifenden Geschichtsprozeß der internationalen Arbeiterbewegung.

Der „getarnte revolutionäre“ Gehalt des Moorsoldatenliedes, den Eisler in seiner Deutung des Liedes hervorhob, lag vor allem in der Schlußstrophe, die die Häftlinge, wie man ihm erzählt habe, „mit besonderer Wuchtigkeit“ sangen (Eisler 1973, S. 277). Die Wirkung dieser Strophe beschrieb ein ehemaliger Buchenwaldhäftling kurz nach der Befreiung: „Das waren keine Töne mehr. Das war Hoffnung, das wurde Gewißheit! Das Lied trug uns, es hat uns fest und zuversichtlich gemacht, damals in den Februartagen 1938 im KZ Buchenwald“ (Musik in Konzentrationslagern. Freiburg im Breisgau Oktober – Dezember 1991. S. 67). Die Häftlinge steigerten den verborgenen oppositionellen Sinn der Schlusszeilen in ihrer Phantasie in offe­nen Widerstand. Ein ehemaliger Moorsoldat erinnert sich, dass im Lager Börgermoor bei der Textstelle „Dann ziehn die Moorsol­daten nicht mehr mit dem Spaten“ auf die Holzfußböden in den Baracken mit dem Fuß fest aufgestampft worden sei. Die „Moorsoldaten“ hätten die Spaten, die sie bei der Arbeit im Moor benötigten, geschultert – wie Gewehre – getragen (In­terview vom 6.7.1990). Eugen Kogon teilt eine Textvariante des Schlussrefrains, die im KZ Buchenwald heimlich kursierte, mit: „Dann zieh'n die Moorsoldaten / Gewehre statt der Spa­ten...“ (Kogon 1974, S. 106) Dem Zukunftsoptimismus in der Schlussstrophe des Moorsolda­tenliedes lag die Überzeugung zugrunde, daß die dunkle Gegenwart eine überwindbare Phase der Geschichte sei, die die Beteiligten nicht „als ‚Opfer‘ des SS-Terrors, nicht als Leidende, sondern als Kämpfer“ herausfordere (Buchenwald 1988, S. 111). Diese Gewissheit wirkte er­mutigend und rettete davor, in Gefühle der Isolation, Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht zu versinken.

Es ist dokumentiert, dass das „Moorsoldatenlied“ in den Konzentrationslagern einen festen rituellen Bestandteil bildete: Als Häftlinge des KZ Sachsenhausen im Frühjahr 1937 glaubten, Carl von Ossietzky sei gestorben, veranstalteten sie eine Gedenkfeier, die sie mit dem Moor­soldatenlied einleiteten (Naujoks 1987, S. 51; Lammel/Hofmeyer 1962, S. 49 ). Heinz Junge erinnert sich, dass das Lied im KZ Börgermoor regelmäßig am Ende von „bunten Abenden“ „zur Hebung der Kampfmoral“ gesungen worden sei (Interview Junge vom 6.7.1990). Es er­klang auch als feierlicher Abschluss von Veranstaltungen im KZ Sachsenhausen (Naujoks 1987, S. 49; Lammel/Hofmeyer 1962, S. 48 ). Man sang das Moorsoldatenlied als demonstra­tiven Gegensatz zu den Pflichtgesängen stehend; es sollte für außergewöhnliche Anlässe auf­bewahrt bleiben: „weil es uns besonders wertvoll war“ (Lammel/Hofmeyer 1962, S. 17).

Um neu eingetroffene Häftlinge zu ermutigen, gab es in den frühen Emslandlagern ein Be­grüßungszeremoniell: „Leitete die SS die beabsichtigte Einschüchterung der Gefangenen mit einem ‚Prügelempfang‘ ein, so setzten die Gefangenen ein eigenes Willkommen dagegen: Wenn die Neuankömmlinge abends müde und zerschunden in ihre Betten gekrochen waren, wurden sie mit dem – leise gesummten – Moorsoldatenlied oder einem vertrauten Arbeiterlied begrüßt. Sodann machte sie ein illegaler ‚Lagersender‘ – eine anonyme Stimme aus dem Dunkeln – mit überlebensnotwendigen Gepflogenheiten des Lageralltags bekannt“ (Suhr/Boldt 1985, S. 41).

Der Neuankömmling im Konzentrationslager erlebte die Aufnahmeprozedur als „einen Pro­zeß tiefster persönlicher Erniedrigung und Entwürdigung... Nackt wurde er durch den Ab­grund gejagt, der die ‚Welt draußen‘ und diese ‚Welt drinnen‘ unüberwindbar trennte“ (Ko­gon 1947, S. 337). „Wüste Beschimpfungen, Schläge mit Peitschen, Knüppeln und Gewehr­kolben, Quälereien wie Kniebeugen, Liegestütze, Hinwerfen in Schmutzpfützen sollten vom ersten Augenblick an den Gefangenen erniedrigen, seinen Willen brechen, ihn zum Arbeits­vieh machen“ (Buchenwald 1988, S. 14). In dieser Welt des Terrors gab es jedoch einige, die den unerfahrenen, desorientierten Neuankömmlingen freundlich begegneten und ihnen Hilfe anboten.

Aus den Erinnerungen des ehemaligen Häftlings Heinz Junge (Interview vom 6. Juli 1990):

Heinz Junge, Mitglied der KPD, wurde im Mai 1933 erstmals festgenommen worden, im Au­gust wurde er verhaftet. Er kam ins Gefängnis und danach ins KZ Börgermoor, danach – 1934/35 – nochmals eineinhalb Jahre ins Gefängnis. 1936 emigrierte er nach Holland. Dort wurde er 1939 auf einer Insel interniert. Als die Nationalsozialisten in Holland einmarschier­ten, wurde Junge an die Deutschen ausgeliefert. 1940 kam er ins Konzentrationslager Sach­senhausen, 1945 nach Mauthausen und das KZ Ebensee in Österreich. 1945 wurde er von den Amerikanern befreit. – In einem Gespräch erinnerte sich Heinz Junge an die Ankunft im KZ Börgermoor vor 57 Jahren und an die Wirkung des Moorsoldatenliedes, das er damals zum ersten Mal hörte:

„Ich wurde am 19. September 1933 vom Dortmunder Polizeigefängnis aus gemeinsam mit ca. 80 weiteren Häftlingen auf Transport geschickt. Wir wurden in Viehwaggons befördert, Poli­zeibeamte bewachten uns. – In Papenburg mußten wir aussteigen, nun übernahmen SS-Leute die Bewachung. Im Dunkel tauchten sie auf mit ihren Totenkopfmützen und den schweren Uniformen. Jede Diskussion, die es noch vorher im Wagen gegeben hatte, erstarb... Dem ei­nen oder anderen unter uns wurde es beklommen ums Herz. – Die SS prügelte uns aus den Waggons heraus. Wir wurden in große Loren verladen und ins KZ Börgermoor gebracht. Das Moor wirkte in der Dunkelheit unheimlich und öde. Es gab dort weder Bäume noch Sträu­cher. Wenn man heute durchgeht, sieht man blühende Gärten; wir haben damals das Gebiet urbar gemacht. – Als wir im Lager ankamen, war der Eingang erleuchtet. SS-Leute standen am Weg. Wir mußten uns aufstellen, abzählen, es gab die ersten Schläge. – Wir wurden in die Baracken geschickt. Mir wies man die Baracke 4 zu. Als ich dort ankam, brannte Licht... Der Barackenälteste gab mir Essen und brachte mich danach in den Schlafsaal. Dort brannte nur eine Notleuchte. Es herrschte Ruhe, nur hier und da hörte ich ein wenig Geflüster. Mein Be­gleiter zeigte mir mein Bett und meine Uniformjacke und wies mich in die neue Umgebung ein. Als er weggegangen war, ertönte von irgendwoher eine Stimme: ‚Kameraden! Ich be­grüße hiermit die Neuen, die heute gekommen sind. Wir nehmen sie sofort und ohne Beden­ken in unsere Kameradschaft auf. Wir erwarten, daß sich alle dieser Kameradschaft würdig erweisen. Wir machen darauf aufmerksam, daß sich keiner durch Verrat bei der SS Vorteile verschaffen darf...‘ Wir bekamen noch einige weitere Informationen. Dann sagte die Stimme: ‚Ihr werdet jetzt unser Moorlied hören.‘ Nun sang an einer anderen Stelle des Raumes jemand das Moorlied zur Klampfe. Wir erfuhren später, wer der Sänger war, aber damals in der Nacht konnten wir ihn nicht erkennen. Man muß sich unsere Stimmung vorstellen: Wir waren tod­müde, in Not, in Furcht vor dem Kommenden. Und dann singt einer das Moorlied!“

Nach 1945 gehörte das „Moorsoldatenlied“ in der SBZ bzw. der DDR zum offiziell geför­derten und gepflegten Liedrepertoire. Es gab dort ein großes – wenn auch eigennütziges – Interesse an der Bewahrung und Pflege von Liedern, in denen sich Widerstand gegen die Ob­rigkeit artikulierte. Insbesondere in der Bearbeitung Eislers diente das „Moorsoldatenlied“ „ideologisch umgedeutet, dem realsozialistischen Staat zur Bekräftigung seines antifaschisti­schen Gründungsmythos“ (Fackler 2000, S. 263).

Der Besitzanspruch der DDR gegenüber demokratischen kulturellen Traditionen erscheint nicht gänzlich unbegründet: Viele der vom NS-Regime Verfolgten fanden nach einem langen Leidensweg ihre politische Heimat in der DDR. Nach dem Untergang des Dritten Reiches sorgten Verlage durch die Veröffentlichung von Büchern und Schallplatten für die baldige Verbreitung des demokratischen Kulturerbes. Seit 1954 sammelte und publizierte das Arbei­terliedarchiv der Akademie der Künste politische Lieder, und zahlreiche Singegruppen und Chöre betrachteten die Pflege solcher Lieder als ihre zentrale Aufgabe.

Ein Teil der politischen Lieder wurde in der DDR unter den Begriff „Arbeiterlied“ subsu­miert. Das „revolutionäre Arbeiterlied“ definierte Inge Lammel als die „Erscheinungsform einer bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungsetappe“ und ein „Kampfinstrument der Ar­beiter gegen das kapitalistische Herrschaftssystem“ (Lammel 1975, S. 13). Als konstitutiv für das Arbeiterlied galt seine „oppositionelle Stellung zur herrschenden, kapitalistischen Gesell­schaftsordnung" (Lammel 1975, S. 14). Zu fragen ist, wie seine Rolle innerhalb des sozialisti­schen Systems, eines Systems, dem die Überwindung des Kapitalismus und der damit ver­bundenen Unterdrückung theoretisch vorausgeht, interpretiert wurde. Dazu Lammel: „Die Lieder der Arbeiter sind seitdem nicht mehr Kampfmittel einer unterdrückten Klasse gegen eine Klasse von Ausbeutern; sie stehen nicht mehr in Opposition zur herrschenden Staats­macht; in ihnen kommen vielmehr die gemeinsamen Interessen von Partei, Regierung und werktätigem Volk beim Aufbau des Sozialismus zum Ausdruck“ (Lammel 1978, S. 141).

Demnach manifestierten sich in den Liedern nicht gegenwärtige Konflikte, sondern die Kämpfe der Vergangenheit, nicht Gegensätze im eigenen Land, sondern nur im Machtbereich des politischen Gegners. Wo die ehemaligen gesellschaftlichen Antagonismen für aufgehoben erklärt wurden, konnten sich Protest und Widerstand „von unten“ nicht mehr artikulieren, weil es das „Unten“ nicht mehr gab bzw. seine Existenz in den offiziellen Verlautbarungen geleugnet wurde. Selbstverständlich zeigte sich, daß die öffentlich proklamierte Überein­stimmung von Volkskultur und staatlicher Kultur Propaganda war und der Realität nicht ent­sprach.

Viele Lieder aus demokratischer Tradition wurden als historische Monumente ohne einen politischen Gegenwartsbezug behandelt. Oft wurden sie in großer Besetzung und pompöser Aufmachung dargeboten, dadurch feierlich überhöht und in eine irreale Ferne gerückt. Ihrer politischen Brisanz wurden sie auf diese Weise beraubt.

Die Situation des „kalten Krieges“ zwischen Ost und West bestimmte lange Zeit das Verhält­nis zu Teilen der musikalischen Tradition. In vielen Kreisen der Bundesrepublik stieß auf Mißtrauen und Ablehnung, was in der DDR von Staat und Regierung gefördert wurde. So begegnete auch das „Moorsoldatenlied“ in der BRD starken Ressentiments, als ein angeblich „antifaschistisches Pflichtlied der DDR“ war es verpönt und außer in den Kreisen der ehema­ligen KZ-Häftlinge kaum bekannt. In Schulbüchern war es noch bis zum Ende der siebziger Jahre nur selten zu finden. Populär wurde das Lied in der BRD erst durch die Folk- und Lie­dermacherszene seit dem Ende der sechziger Jahre. Als es in deren Repertoire gelangte, kannten viele nicht einmal seine Herkunft aus den deutschen Konzentrationslagern. In den siebziger Jahren gehörte das Lied zum Standardrepertoire der Folksänger.

Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung

Literatur

Benzinger, Olaf: Rock-Hymnen. Kassel u.a. 2002. S. 136 ff. (Dylan, „Hurricane“)
„Bürgerrechtsbewegung“. In: Wikipedia
„Montgomery Bus Boycott“. In: Wikipedia
Moosbrugger, Daniel: Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung. „Schwarze Revolution“ in den 1950er und 60er Jahren. Stuttgart 2004

Die Bürgerrechtsbewegung in den USA (Civil Rights Movement) setzte sich Anfang des 20. Jahrhunderts für die Gleichberechtigung der Afroamerikaner und die Überwindung des Ras­sismus ein.

1861–65 Amerikanischer Bürgerkrieg bzw. Sezessionskrieg, verursacht durch den Gegensatz zwischen den Nord- und Südstaaten vor allem in der Frage der Sklaverei. Der Krieg wurde ausgelöst durch die Wahl Abraham Lincolns zum Präsidenten der USA. In ihm unterlagen schließlich die 11 Südstaaten, die aus der Union ausgetreten waren und sich unter dem Präsi­denten Davis gegen die Nordstaaten zusammengeschlossen hatten. Die Abschaffung der Sklaverei wurde im Anschluss an den Krieg in der Verfassung verankert.

Dennoch blieben die Afroamerikaner weiterhin unterdrückt, vor allem in den Südstaaten. In vielen Bereichen wurden sie ausgegrenzt (z.B. in Schulen, Universitäten, Restaurants, Kinos, öffentlichen Verkehrsmitteln). Auch kam es oft zu rassistischen Übergriffen des Ku Klux Klan, die oftmals nicht juristisch verfolgt wurden.

Gegen Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Bürgerrechtsbewegung immer aktiver. 1909 wurde die NAACP (National Association for the Advancement of Colored People) gegründet, die bis in die Gegenwart eine zentrale Organisation der amerikanischen Bürgerrechtsbewe­gung ist.

Ende der 1950er Jahre nahmen die Proteste nach einem erfolgreichen mehr als ein Jahr dau­ernden Busboykott zur Aufhebung der Rassentrennung zu. Unter der Führung des Baptisten­pfarrers Martin Luther King (1929–1968) entwickelte sich eine gewaltlose Massenbewegung, die mit Mitteln des zivilen Ungehorsams und friedlichen Protests (beeinflusst von Mahatma Gandhi) ihre Ziele zu erreichen versuchte. Es kam in der Folge zur Aufhebung der institutio­nellen Segregationspolitik in den Südstaaten.

1964 trat die Bürgerrechtsgesetzgebung in Kraft. Im selben Jahr wurde Martin Luther King der Friedensnobelpreis verliehen. Ab Mitte der 1960er Jahre spaltete sich die Black Power-Bewegung unter Malcolm X ab, die radikaler und militanter auftrat. Zu dieser Gruppe gehörte auch Angela Davis. Die Black Panther Party wurde 1966 gegründet. Ihre Anhänger versuch­ten, Strategien des Befreiungskampfes mit revolutionären Zielsetzungen zu verbinden.

1968 fiel Martin Luther King einem Attentat zum Opfer. Bereits 1965 war Malcolm X ermor­det worden.

Im Zusammenhang mit der Bürgerrechtsbewegung entstanden auch zahlreiche Lieder, die den Rassismus in den USA thematisieren.

„If you miss me at the back of the bus“ (Charles Neblett)
Der Song wurde geschrieben von Charles Neblett von den “Freedom Singers” auf die Melo­die von “O Mary don’t you weep”. U.a. trat Pete Seeger mit diesem Lied hervor (z.B. LP Pete Seeger: Live Concert)

1. If you miss me at the back of the bus, you can find me nowhere, oh,
come on over to the front of the bus, I’ll be riding up there.

I’ll be riding up there, I’ll be riding up there, oh,
come on over to the front of the bus, I’ll be riding up there.

2. If you miss me on the picket line, you can find me nowhere, oh,
come on over to the city jail, I’ll be rooming over there.

I’ll be rooming over there, I’ll be rooming over there, oh,
come on over to the city jail, I’ll be rooming over there.

3. If you miss me in the Mississippi River, you can find me nowhere,
come on over to the swimming pool, I’ll be swimming right there.

I’ll be swimming right there, I’ll be swimming right there, oh,
come on over to the swimming pool, I’ll be swimming right there.

4. If you miss me in the cotton field, you can find me nowhere, oh,
come on over to the courthouse, I’ll be voting right there.

I’ll be voting right there, I’ll be voting right there, oh,
come on over to the courthouse, I’ll be voting right there.

Das Lied bezieht sich auf einen von Rosa Parks ausgelösten Busboykott. Rosa Parks (1913–2005), die vielen Amerikanern als „Mutter“ der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung gilt, weigerte sich im Jahr 1955 in Montgomery (Alabama), ihren Sitzplatz im Bus für einen wei­ßen Fahrgast frei zu machen. Ihr mutiges Verhalten wurde zum Auslöser jahrelanger Proteste gegen Rassentrennungsgesetze in den USA. Parks wurde damals zu einer Geldstrafe verur­teilt. Die schwarze Bevölkerung boykottierte daraufhin 381 Tage lang die Buslinien von Montgomery. Der Oberste Gerichtshof wies die Stadt 1956 an, das diskriminierende Gesetz abzuschaffen. – 1966 erhielt Parks die Freiheitsmedaille des US-Präsidenten, 1999 die Gold­medaille des Kongresses, die höchste zivile Auszeichnung der USA. Nach ihrem Tod 2005 soll Rosa Parks – so beschloss es der US-Senat – als erste Schwarzamerikanerin mit einer Statue im Capitol geehrt werden.

Bob Dylan: „Hurricane“

setzt sich mit einem Justizskandal aus den sechziger und siebziger Jahren auseinander. Der Song erzählt die Geschichte von dem Boxer Rubin Carter, der nach manipulierten polizeili­chen Ermittlungen in einem Prozess mit gekauften und unter Druck gesetzten Zeugen des dreifachen Raubmordes für schuldig gesprochen und 1967 zu dreimal lebenslänglich verur­teilt wurde. Mitte der siebziger Jahre setzten sich viele Prominente für Carter ein, unter ihnen Dylan. Die Zeugen widerriefen 1975 ihre Aussagen. Carter kam frei, wurde aber in der Beru­fungsverhandlung 1976 erneut verurteilt. Erst 1988 gelangte der Ex-Boxer in Freiheit.

Der Song besteht aus 11 Strophen balladenhaften Charakters. Die Schilderung der Ereignisse wird nur selten unterbrochen durch Kommentare, so in den mehrmals wiederholten Zeilen: „Das ist die Geschichte des Hurricane, dem die Behörden ein Verbrechen anhängten, das er nie begangen hat. Sitzt hinter Gittern, dabei war er mal auf dem besten Weg zur Weltmeister­schaft im Mittelgewicht“ (Übersetzung bei Benzinger 2002, S. 137). An anderer Stelle fragt Dylan, wie ein Rechtsstaat ein solches Unrecht zulassen kann. „Ich kann mich nur noch schämen, in einem Land zu leben, wo die Justiz zur Farce gerät“ (Ebd.). Die letzte Strophe enthält eine Attacke gegen die „criminals in their coats and their ties“, who „are free to drink martinis and watch the sun rise…”, während ein Unschuldiger im Gefängnis sitzt.

Instrumentalbesetzung: Gitarre, Schlagzeug, Congas, Violine. Einfaches harmonisches Ge­rüst.

1975 besuchte Dylan den inhaftierten Rubin Carter während einer Tournee im Staatsgefäng­nis von New Jersey. Das Ereignis wurde auch gefilmt. Einen Tag später gab es ein Benefiz­konzert im ausverkauften Madison Square Garden zugunsten Carters. Aus dem Gewinn wur­den u.a. dessen Anwälte bezahlt. Es heißt, dass Dylans Konzert zur vorübergehenden Haft­entlassung Carters geführt habe (Benzinger 2002, S. 138)

„Hurricane“ wurde von anderen Musikern kaum gecovert. Es gibt eine Rap-Interpretation von Ani DiFranco (Album „Swing Set“, 2000). 2000 lief in den Kinos der Film „The Hurricane“ mit dem Hauptdarsteller Denzel Washington an (Regie: Norman Jewison). Die Titelmusik des Films ist Dylans „Hurricane“. Außerdem sind im Film einige Archivdokumente eingespielt, die Dylans Besuch bei Carter zeigen.

Antikriegslieder

„Zogen einst fünf wilde Schwäne“

Literatur

Bönisch-Brednich, Brigitte: „Karl Plenzat“. In: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, hg. von Rolf W. Brednich u.a. Bd. 10 (2002)

Der Verfasser des Liedes war Karl Plenzat. Er wurde 1882 geboren und starb im Februar 1945. Plenzat war Pädagoge und Volkskundler. In den Jahren zwischen 1905 und 1926 war er an verschiedenen Schulen tätig. Parallel dazu absolvierte er nach dem Ersten Weltkrieg an der Königsberger Universität ein Studium der Germanistik, Anglistik, Philosophie und Pädago­gik. Seit 1926 war er Dozent, dann an mehreren Hochschulen Professor für Volkskunde. Plenzats Interesse galt besonders dem Sammeln von mündlichen Überlieferungen: Volkslie­dern und Erzählungen (Sagen, Märchen, Schwänken) (vgl. Bönisch-Brednich 2002).

Das Lied wurde durch Plenzats „Liederschrein“ 1918 in ganz Deutschland bekannt. Laut Auskunft des DVA Freiburg konnte die litauische Vorlage nicht gefunden werden. Den Text zu dem Lied „Zogen einst fünf wilde Schwäne“ verfasste Plenzat inmitten des Ersten Welt­kriegs; dies weckt die Vermutung, dass seine Gesinnung damals eher pazifistisch als milita­ristisch gewesen sei. Andererseits gibt es Hinweise darauf, dass Plenzat später dem National­sozialismus nahe stand (vgl. Bönisch-Brednich 2002).

Zum Inhalt: Der Krieg wird außer in der dritten Strophe („junge Burschen“, Kampf) nur ver­schlüsselt thematisiert. Die Strophen zeigen Anklänge an eine Erzählsituation: Auf die Frage: „Sing, sing, was geschah?“ erfolgt jeweils eine Antwort, die nur die Folgen eines Ereignisses, nicht das Ereignis selbst, nennt: „Keiner ward mehr gesehen“; „Keines in Blüten stand“; „Keiner kehrt mehr nach Haus“; „Keines den Brautkranz wand“. Diese Antworten drücken jeweils Verlust, Zerstörung und Trennung aus. Die eindringliche Wirkung ist u.a. auf die Wiederholung von Textzeilen zurückzuführen.

In der ersten Strophe erscheint das Bild des Schwans mit „leuchtend weißem“ Gefieder. Seit der griechischen Antike ist der Schwan ein wichtiges Symboltier. Oft galt er als Sinnbild „edler Reinheit“. Gelegentlich wird er als Gegenspieler und Feind des Adlers und auch der Schlange bezeichnet (s. Knaurs Lexikon der Symbole). „Der berühmte ‚Schwanengesang’ ... geht auf die schon bei Aischylos ... erwähnte prophetische Gabe des Apollo-Vogels zurück, der von seinem nahen Tod weiß und ... Klagelaute hören lässt“ (Ebd.). – Die Bedeutung der Zahl fünf, die in allen Strophen eine Rolle spielt, konnte bisher nicht geklärt werden. – Birken am Bachesrand (2. Strophe): ein Naturbild, das den Frühling assoziieren lässt. Die Birke mit ihren hellgrünen Blättern und dem hellen Stamm ruft Assoziationen wie Frühling und Lebens­freude hervor. Birkenzweige spielen z.B. in Maibräuchen eine Rolle.

Das Lied lässt sich – gerade auch wegen seines vagen Charakters – von unterschiedlichen Seiten politisch vereinnahmen: von Vertriebenenverbänden – dies vor allem wegen des Be­zugs zur Memel bzw. dem Memelland in Ostpreußen. Dieses Gebiet wurde im Versailler Vertrag von Deutschland an die Alliierten abgetreten und 1924 von Litauen annektiert. 1939 gab Litauen das Memelland an Nazideutschland ab. 1948 erfolgte wiederum die Eingliede­rung in die Litauische SSR. – Andererseits fand das Lied Anklang in der eher politisch links orientierten Folkbewegung der siebziger Jahre.

Pete Seeger: „Where have all the flowers gone“

Literatur

Kleff, Michael: Pete Seeger wird 80! Überleben mit kultureller Guerillataktik. In: Folker! Magazin für Folk, Lied und Weltmusik 2/99
Siniveer, Kaarel: Folk Lexikon. Art. „Seeger, Pete“. Reinbek bei Hamburg 1981

Das Lied schrieb Pete Seeger 1955. Der deutsche Text stammt von Max Colpet (1905–1998). Es heißt, dass Colpet, der aus Königsberg stammte und 1933 in die USA emigrierte, zu die­sem Text durch das memelländische Lied von den Schwänen (s.o.) angeregt worden sei.

Es wird auch behauptet, dass sowohl „Zogen einst fünf wilde Schwäne“ als auch „Where have all the flowers gone“ von einem Lied in Michail Scholochows (1905–1984) Roman „Der stille Don“ inspiriert worden sei. Dieses enthalte die folgenden Zeilen:

Where are the flowers,
The girls have plucked them.
Where are the girls,
They’ve all taken husbands.
Where are the men?,
They’re all in the army.

Diese Behauptung wird von Seegers Version der Entstehungsgeschichte des Liedes unter­stützt: Im Oktober 1955 saß er auf dem Weg zu einem Konzert in einem Flugzeug und fand in seiner Tasche ein Notizbuch mit der Niederschrift von drei Versen, die er sich bei der Lektüre von Michail Scholochows „Der stille Don“ notiert hatte. Angeblich entstammten die Zeilen einem ukrainischen Volkslied, nach dem Seeger lange Zeit vergeblich gesucht haben soll. Dieses Liedfragment fügte er mit weiteren textlichen und musikalischen Bruchstücken aus seiner Erinnerung zu einem neuen Song zusammen.

1956 entstand die erste Aufnahme des Liedes bei Folkways. Ein Jahr später hörte Seeger auf, dieses Lied zu singen, weil es ihm wenig erfolgreich zu sein schien. Joe Hickerson, ein be­kannter amerikanischer Folksinger, Ethnomusikologe, Archivar, Bibliothekar und Leiter des Archive of Folk Song / Culture at the Library of Congress (Washington D.C.), griff es (an­scheinend Jahre) später auf und fügte zwei Verse hinzu. Nun interessierten sich mehrere Mu­sikgruppen dafür, darunter das Kingston Trio und Peter, Paul & Mary. Jetzt erst wurde der Song international erfolgreich. Marlene Dietrich sang ihn in französischer Sprache, erstmals wohl 1962.

Die Zeilen b c e e stimmen in allen Strophen überein. In den übrigen Versen dominiert eben­falls das Wiederholungsprinzip, doch werden zentrale Begriffe ersetzt, die jeweils aus der vorigen Strophe resultieren: Blumen – Mädchen; Mädchen – Männer; Männer – Krieg; Sol­daten – Gräber; Gräber – Blumen. Der Schluss kehrt zum Anfang zurück; das Leben erscheint als ein ständiger verhängnisvoller Kreislauf. Am Ende bleiben mehr Fragen – der überwie­gende Teil des Textes besteht aus Fragen –, als dass Antworten gefunden werden; Auch in diesem Lied wird der Krieg nur verhalten kritisiert.

Biographische Daten zu Pete Seeger:

geboren am 3. Mai 1919 in New York. Sein Vater war der Musikwissenschaftler Charles See­ger, seine Mutter war Geigenlehrerin.
1936–38 Studium der Soziologie und des Journalismus an der Havard University
1939/40 begleitete er den Volksliedsammler und -forscher Alan Lomax auf verschiedenen Reisen für die Library of Congress in Washington. Dadurch wurde sein Liedrepertoire sehr umfangreich, und er hatte seine ersten Auftritte als Sänger.
1940 traf er Woody Guthrie.
1941 gründete er seine erste Band, die „Almanac Singers“, die als die erste populäre Musik­gruppe der amerikanischen Arbeiterbewegung gilt.
1942 leistete er zwei Jahre lang Kriegsdienst. Dabei trat er auch für GI-Radiostationen und in Soldatenclubs auf.

Seit 1948 stand er auf der „schwarzen Liste“. Zur Zeit des Kalten Krieges wurde er wegen seiner politischen Haltung von großen Teilen der gewerkschaftlich organisierten amerikani­schen Arbeiterbewegung ausgeschlossen, so dass er nicht mehr – wie vorher – bei Massen­veranstaltungen auftreten konnte. Auch zu den offiziellen Medien hatte er lange keinen Zu­gang mehr. Manche seiner Lieder wurden damals durch Gruppen wie Peter, Paul & Mary oder das Kingston Trio verbreitet.

1950 gründete er das Folkmagazin „Sing Out“.
1955 Ladung vor das Komitee zur Untersuchung unamerikanischer Aktivitäten
1959 rief Seeger gemeinsam mit anderen das Newport Folk Festival ins Leben.
Seeger schrieb auch zahlreiche wichtige Bücher über die amerikanische Folk Music.

Bob Dylan: „Blowin’ in the wind“

Literatur

Benzinger, Olaf: Rock-Hymnen. Das Lexikon. Kassel u.a. 2002. S. 65–68
Sievritts, Manfred: „Politisch Lied, ein garstig Lied?“. Bd. 2. Wiesbaden 1984

Bob Dylan schrieb dieses Lied 1962. Dylans Manager erkannte wohl das Potential, das in diesem musikalisch einfachen Song steckte. „Noch bevor Dylans Version im Mai 1963 auf dem Album The Freewheelin’ Bob Dylan erschien, ließ Grossmann den Song von der Para­detruppe Peter, Paul & Mary aufnehmen, die er ebenfalls unter Vertrag hatte“ (Benzinger 2002, S. 66). Mit dieser Gruppe, die von 1960–70 bestand, stieg „Blowin’ in the wind“ in den amerikanischen Charts 1963 bis auf Platz Zwei empor. „Peter, Paul & Mary machten als ge­fällige Folk-Entertainer durch ihre professionell geglätteten Versionen auch Protestsongs Hit­paraden-tauglich“ (Benzinger 2002, S. 67).

Dylan selbst soll über sein Lied geäußert haben: „Ich kann nicht viel über diesen Song sagen, außer dass die Antwort im Wind zu finden ist. Sie steht nicht in Büchern oder Filmen oder Fernsehshows oder Diskussionsgruppen – sie ist im Wind. Es gibt Leute, die behaupten, sie wüssten die Antwort, aber ich glaube ihnen nicht. Ich glaube immer noch, sie ist im Wind. Wie ein Stück Papier fällt sie manchmal zu Boden, aber das Problem ist, dass keiner kommt und sie aufhebt, wenn es möglich ist... Und schon fliegt sie wieder davon“ (Benzinger 2002, S. 66).

Manfred Sievritts schreibt über diesen Song:

„Bob Dylan trägt seinen Protest gegen Kanonen, sinnlosen Tod und die Ignoranz und Teil­nahmslosigkeit der Menschen gegen das Elend anderer in einer sehr zurückhaltenden, indi­rekten, mit Metaphern und Vergleichen angereicherten Sprache vor. Er drückt in seinem Lied im Gegensatz zu dem engagierten Gesang von Ernst Busch scheinbar eine gewisse Gleich­gültigkeit aus und ruft nicht direkt zum Handeln auf. Damit lässt er alles offen, fordert aber dadurch zum Nachdenken auf. Er wendet sich an ein breites Publikum [d.h. nicht an be­stimmte Zielgruppen, die für eine bestimmte politische Richtung oder Partei agieren], dem es genügt, wenn er in Andeutungen spricht. In den einheitlichen, nur von Gitarren begleiteten Strophen und dem nicht abgesetzten kurzen Refrain, der nur aus einer Textzeile besteht, drückt sich Resignation und leise Ironie aus: Ebenso, wie seit Bestehen der Erde die Gesetze der Natur in permanenter Gleichmäßigkeit noch ewig Gültigkeit haben werden, ist auch ein Ende von Krieg und Töten nicht abzusehen. [...] Dylan verwendet keine aggressiven Worte, nennt keine Ursachen oder Lösungsvorschläge, sondern kleidet seine Aussage in Fragen, auf die niemand eine Antwort weiß, weil die Beantwortung so ungewiss ist wie die Erscheinun­gen der Natur. Und ähnlich unvergänglich und dauerhaft wie das Bestehen der Erdgeschichte ist das Verhalten der Menschen, ein Naturgesetz, das sich vielleicht in erdgeschichtlichen Zeiträumen in seiner Gewohnheit ändern könnte. In dieser Interpretation steckt Hoffnungslo­sigkeit und Pessimismus, weil man wohl durch Aktionen den Lauf der Dinge selbst nicht ver­ändern kann. Dementsprechend undramatisch wird die Melodie vorgetragen: leise, etwas un­deutlich und ohne Höhepunkte im Ausdruck. Die Mundharmonika, die zwischen den Stro­phen zum Einsatz kommt, erinnert an die Einsamkeit, die manche Western-Songs und Blues-Titel vermitteln“ (Sievritts 1984, S. 113 f.).

„Blowin’ in the wind“ avancierte zu einer „Hymne der Protestbewegung“ – die manchmal auch als „Weltverbesserer-Folklore“ verspottet wird –, obgleich Sievritts meint: „Vielleicht liegt das Geheimnis des Erfolges der Lieder Bob Dylans darin, dass er nicht als ‘Weltverbes­serer’ mit ‚erhobenem Zeigefinger‘ auftritt und keine Botschaft verkünden will“ (Sievritts 1984, S. 114).
Trotz des eigentlich „unpolitischen“ Charakters seiner Lieder wurde Dylan zu einem politisch einflussreichen Sänger. Viele der politischen Gruppen, die seinen Song adaptierten, setzten sich allerdings – entgegen dem resignativen Grundtenor des Liedes – sehr energisch für poli­tische und soziale Veränderungen ein; ob ihnen der Gegensatz zu Dylans Haltung bewusst war? „‚Blowin’ In The Wind‘ wurde zu der Hymne der Bürgerrechtsbewegung, vergleichbar mit der ‚Marseillaise‘ oder der ‚Internationalen‘“ (Benzinger 2002, S. 66). Viele andere Inter­preten übernahmen diesen Song. „‚Blowin‘ In The Wind‘ dürfte nach ‚Yesterday‘ der am meisten gecoverte Song des Pop sein. Schon 1963 gab es zirka sechzig Versionen, im Laufe der Jahre wurden es Hunderte“ (Benzinger 2002, S. 67).

Biographisches zu Bob Dylan:

heißt eigentlich Robert Allen Zimmerman. Wurde geboren am 24. Mai 1941 in Duluth / Min­nesota als Sohn eines jüdischen Kaufmanns
1961 ging er nach New York und nannte sich nun „Bob Dylan“ (wahrscheinlich nach dem walisischen Dichter Dylan Thomas).
1961 besuchte er sein Idol, den Folksänger Woody Guthrie, der damals schwer krank war und im Krankenhaus lag. (Guthrie starb 1967.) Er spielte ihm einige seiner Songs vor.
1962 Aufnahme der ersten LP
Seit 1963 hatte er Kontakt mit Joan Baez.
1963/64 lieferte Dylan den „Soundtrack zur Bürgerrechtsbewegung“. „Blowin’ in The Wind“ wurde zur Hymne und Dylan zur Ikone der Protestbewegung.
1965/66 trat Dylan beim Newport Folk Festival mit Rockband und E-Gitarre auf und scho­ckierte damit die Szene, denn Rock galt dort als kommerzieller Schund. Das Publikum rea­gierte z.Tl. empört. Beifall erhielt Dylan aus der Popwelt. Überhaupt ist kennzeichnend für Dylan, dass er die Erwartungen seines Publikums nicht erfüllt und bei Auftritten häufig pro­voziert.

Gemeinsamkeiten der drei Lieder:

Der Bezug der beiden ersten Lieder zu dem Roman „Der stille Don“. Ähnliche Bilder werden verwendet. Das Geschehen scheint einem ewigen Gesetz zu folgen. Seegers Lied greift am Ende die Anfangsstrophe auf. Fehlen konkreter politischer Bezüge und Lösungsvorschläge: „The answer is blowing in the wind“; „When will they ever learn?“. Die Fragen bleiben unbe­antwortet.

Unterschiede:

Ein zu beachtender Unterschied zwischen dem älteren Lied „Zogen einst fünf wilde Schwäne“ und den beiden jüngeren Songs besteht darin, dass ersteres – wie ein „Volkslied“ –kaum an die Person des Textdichters / Komponisten, der kaum bekannt ist, oder auch eines Interpreten gebunden ist. „Zogen einst fünf wilde Schwäne“ wird in den unterschiedlichsten Bearbeitungen und in gänzlich verschiedenen Zusammenhängen gesungen (s.o.). Die von damaligen Jugendlichen getragene deutsche Folklorebewegung der späten sechziger und der siebziger Jahre verhalf ihm zu einer größeren Popularität innerhalb dieser musikalischen Ju­gendkultur, die nach Anknüpfungsmöglichkeiten an „antifaschistische“, „antimilitaristische“ u.a. sich gegen den Nationalsozialismus abgrenzende Traditionen suchte. Möglicherweise war den damaligen Folkgruppen nicht bekannt, dass der Autor des Liedes der Nazi-Bewegung nahe gestanden hatte und dass das Lied durch seinen inhaltlichen Bezug zum „verlorenen Osten“ auch gern von politisch rechts gerichteten Gruppierungen annektiert wurde.

Die Lieder von Seeger und Dylan sind stark an die Person des Autors und Interpreten gebun­den, obgleich von beiden zahlreiche Coverversionen entstanden. Die mediale Vermittlung spielte vor allem bei Dylans Lied eine entscheidende Rolle. Es wurde weltweit bekannt. Die Massenmedien propagieren nicht nur einen Text und eine Melodie, sondern auch bestimmte Personen und deren Image. Seeger und Dylan haben das Image politischer Sänger. Trotz der wenig konkreten Aussagen tauchten beide Lieder immer wieder in politischen Zusammen­hängen auf: innerhalb der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und der Opposition gegen den Vietnam-Krieg.

Ton Steine Scherben: „Keine Macht für Niemand“

Literatur

Seidel, Wolfgang (Hg.): Scherben. Musik, Politik und Wirkung der Ton Steine Scherben. Mainz 2005
Sichtermann, Kai / Johler, Jens / Stahl, Christian: Keine Macht für Niemand. Die Geschichte der Ton Steine Scherben. Erweitert Neuausgabe Berlin 2003
Ton Steine Scherben. In: Wikipedia
Ton Steine Scherben. Geschichte, Noten, Texte und Fotos aus 15 Jahren. Kreuzberg 1985 (Kreuzberger Hefte VI)
Film: Ton Steine Scherben. Land in Sicht. Eine Christian Wagner Dokumentation. Eye tune 2002

Situation / Ereignisse zur Zeit der Veröffentlichung der LP „Keine Macht für Nie­mand“:

23.1.71 Süd-Korea: Entführung einer Fokker F-27 der Korean Air Lines
17.6.71 Einbruch ins Watergate-Gebäude in Washington D.C., Beginn der Watergate-Affäre
05.9.71 Anschlag auf die israelische Mannschaft bei den XX. Olympischen Sommerspie­len in München durch die palästinensische Terrorgruppe Schwarzer September
04.8.71 In München wird der erste Banküberfall mit Geiselnahme in Deutschland began­gen.
22.10.71 Der Polizist Norbert Schmid wird in Hamburg von der RAF erschossen.
Ferner: Greenpeace wird in Kanada als Ableger des „Don’t Make a Wave Commit­tee“ gegründet
30.1.72 Blutsonntag in Nordirland
29.4.72 erste Schwulendemonstration in Deutschland (Münster)
09.5.72 drei Bomben explodieren im Springer Verlagshaus
02.6.72 Andreas Baader und andere RAF Terroristen werden verhaftet
15.6.72 Ulrike Meinhof und Gerhard Müller werden verhaftet
20.9.72 Willy Brandt stellt die Vertrauensfrage

Zur Geschichte der Band

Rio Reiser (Ralf Möbius, geb. 9.1.1950) und Lanrue (Ralf Steitz) lernten sich zu Schulzeiten in Rodgau (Hessen) kennen. Beide begannen eine Ausbildung (Fotograf und Dekorateur) und spielten in verschiedenen Bands.

„Ton Steine Scherben wurde 1970 in Westberlin von den Bandmitgliedern R.P.S. Lanrue, Rio Reiser, Wolfgang Seidel und Kai Sichtermann gegründet. Ein Bandname wurde vermutlich in Anlehnung an die Bezeichnung der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden gefunden. Rio Reiser verbreitete allerdings auch die Version, es handele sich um ein Zitat des Troja-Entde­ckers Heinrich Schliemann: „Was ich fand waren Ton, Steine, Scherben.“

Im Sommer 1970 trat die Band bei dem „Festival der Liebe“ auf der Insel Fehmarn auf, bei dem Jimi Hendrix seinen letzten Auftritt hatte. Sie spielte drei Lieder, u.a. „Macht kaputt, was euch kaputt macht“. Der Auftritt endete in Krawallen, für die die Band vermutlich gar nicht verantwortlich waren. Immerhin wurde sie auf diese Weise berühmt.

1970 erschien die Single „Macht kaputt, was euch kaputt macht / Wir streiken“
Erste LP 1971: „Warum geht es mir so dreckig?“ Darauf erschien nochmals „Macht kaputt, was euch kaputt macht“.
Das eigene Label „David Volksmund“ wurde gegründet.
LP „Keine Macht für Niemand“:
1972 erschien die zweite LP „Keine Macht für Niemand“. Es gibt Gerüchte, wonach sie von Geld aus Banküberfällen einer „Revolutionären Zelle“ finanziert worden sei und dass das Lied „Keine Macht für Niemand“ im Auftrag der RAF entstanden sei, die sich dann allerdings nicht dafür begeistern konnte. „Musikalisch bevorzugte die Band einen harten und sparsam instrumentierten Rhythm’n’Blues, für den es den Namen Punk damals noch nicht gab“ (Wi­kipedia). „Die Musik der Band war stilbildend für die deutsche Rockmusik, den deutschspra­chigen Punk und Teile Neuen Deutschen Welle. Bei ihrem rockigen Stil hatte die Gruppe den Anspruch, ein neues Verständnis von Volksmusik zu kreieren – im Sinn einer eingängigen, verständlichen Musik für das im Widerspruch zu den ‚Herrschenden‘ stehende ‚Volk‘, indem sozial relevante Themen des ‚einfachen‘ Volkes, im engeren Sinn der aufbegehrenden dama­ligen Jugend, in einem Musikstil aufgegriffen wurden“ (Wikipedia). „Einige Titel und Text­passagen der ‚Scherben‘ sind bis in die Gegenwart bekannte Slogans der außerparlamentari­schen linken und linksradikalen Szene, so zum Beispiel ‚Keine Macht für Niemand‘, ‚Macht kaputt, was euch kaputt macht‘ u.a.“ (Wikipedia).

Die Band geriet zunehmend ins Visier der Polizei. Hausdurchsuchungen häuften sich. Zeit­weilig hatte sie keine (Auftritts-)Möglichkeiten mehr im öffentlichen TV und Rundfunk. Au­ßerdem verdiente die Band wenig, weil sie vornehmlich auf Solidaritätsveranstaltungen spielte.

1975 verließ sie Berlin und zog sich aufs Land nach Fresenhagen / Nordfriesland zurück. „Der Umzug war eine Flucht vor dem immer größer werdenden Druck, bei jeder radikalen Aktion in Berlin die Protagonistenrolle übernehmen zu müssen“ (Wikipedia).
1977: Punk in Deutschland. Ton Steine Scherben wurden als Protopunk gehört und verstan­den.
1983 wurde die Grünen-Politikerin Claudia Roth Managerin der Band.
1985: letztes Konzert der Gruppe in Saarbrücken. Im selben Jahr löste sich die Band auf. Rio Reiser entschied sich für eine Solo-Karriere, die sehr erfolgreich verlief.

Am 20.8.1996 starb Rio Reiser. Abschied am 20.8.96 unter anderem mit Coverbeiträgen von: Nationalgalerie, Ulla Meinecke, Tim Fischer, Herbert Grönemeyer, Einstürzende Neubauten, Marianne Rosenberg. Das Haus in Fresenhagen wurde zum Rio-Reiser-Haus, das für Tagun­gen. Konzerte etc. gebucht werden kann.

Die Gruppe „Scherben-Family“ formierte sich aus verschiedenen Ex-Scherben-Musikern und Menschen aus dem damaligen Umfeld, veröffentlichte eine Platte und ging 2005 auf Deutschlandtournee. Lanrue lebt in Portugal in einem Bauwagen und produziert lokale Bands.

© Gisela Probst-Effah 2006

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Mein Kommentar:

Das Deutschlandlied steht im Kontext der Lieder aus dem schicksalhaften 20. Jahrhundert, auch wenn eine Strophe als Nationalhymne erkoren wurde. Diese Erhöhung bedeutet, dass wir Deutschen näher hinschauen und hinhören müssen. Die großartige wissenschaftliche Tätigkeit von Dr. Gisela Probst-Effah beleuchtet von ihrer hoch qualifizierten Fachrichtung her Krieg und Frieden des vergangenen Jahrhunderts mit allen Höhen und Tiefen der echten und propagandistischen Gefühle, die Lieder hervorbringen können. Ihr ist zu verdanken, dass wir einen großen Zusammenhang erkennen können, in dem das Deutschlandlied eingebettet ist. Alle zitierten Lieder stehen unter dem wissenschaftlichen Aspekt universitärer Wahrheitssuche und werden hier im Gesamtzitat auch ebenfalls so verstanden.

Beitrag von micha » 18.08.2006, 07:31

Fortsetzung

„Wann immer, nach 1945, auf der Welt ein Krieg ausbrach, in Indochina, Korea, Israel, Viet­nam, stieg die Tantiemen-Kurve des Liedes steil nach oben; Lili marschiert mit“ (DER SPIEGEL, Nr. 4/1981, S. 171). Der 1959 gegründete Bundes-Soldatensender Radio Ander­nach sendet für Bundeswehr-Angehörige im Ausland. So gab es z.B. beim Einsatz in Bosnien Live-Sendungen mit viel Musik, um die Soldaten bei Laune zu halten, auch Gruß- und Wunschsendungen, in denen Kontakt zwischen Heimat und Front hergestellt wurde. Abend für Abend erklang dabei zum Programmschluß um 21 Uhr „Lili Marleen“, gesungen von Lale Andersen, „als hätte das Lied keine Geschichte“ (Kölner Stadt-Anzeiger, 10.11.1997).

Parodien von „Lili Marleen“:

Neben vielen fremdsprachigen Versionen gibt es eine Vielzahl von Parodien auf „Lili Mar­leen“. 1944 z.B. sang in Frankfurt nachts ein Unbekannter: „Unten an der Laterne / hängt ein schwarzer Mann, / Warte nur balde / hängen mehrere dran. / Wenn wir alle hängen sehn, / wird es uns wieder besser gehn / wie einst Lili Marlen“ (Schepping 1979). Zahlreiche Par­odien finden sich bei Rudolf Walter Leonhardt, Lieder aus dem Krieg, München 1979, S. 162 ff.

Im deutschsprachigen Programm der BBC sang Lucie Mannheim (vgl. CD-Cassette „Entar­tete Musik“. Tondokumente zu der Ausstellung „Entartete Musik“, Düsseldorf 1988. CD 4 „Widerstand“):

Ich muß heut‘ an dich schreiben,
mir ist das Herz so schwer,
ich muß zu Hause bleiben
und lieb’ dich doch so sehr.
Du sagst, du tust nur deine Pflicht,
doch trösten kann mich das ja nicht,
ich wart’ an der Laterne.
Deine Lili Marleen.

Was ich still hier leide,
weiß nur der Mond und ich,
einst schien er auf uns beide,
nun scheint er nur auf mich.
Mein Herz tut mir so bitter weh,
wenn ich an der Laterne steh’
mit meinem eignen Schatten.
Deine Lili Marleen.

Vielleicht fällst du in Rußland,
vielleicht in Afrika,
doch irgendwo, da fällst du,
so will’s dein Führer ja.
Und wenn wir doch uns wiedersehn,
so möge die Laterne stehn
in einem andern Deutschland.
Deine Lili Marleen.

Der Führer ist ein Schinder,
das sehn wir hier genau,
zu Waisen macht er Kinder,
zur Witwe jede Frau.
Und wer an allem schuld ist, den
will ich an der Laterne sehn.
Hängt ihn an die Laterne!
Deine Lili Marleen.

Verfilmungen:

„Lili Marleen“ regte auch zu zahlreichen Filmen an. 1956 drehte Paul Verhoeven mit Mari­anne Hold und Adrian Hoven „Wie einst, Lili Marleen“. 1960 wurde unter der Regie von Paul May der Film „Soldatensender Calais“ gedreht. Darin ist „Lili Marleen“ ein Lied des Wider­standes – wie Lucie Mannheims Version, die 1942 und 1943 von der BBC London ausge­strahlt wurde. „Lili Marleen“ tauchte wenig später nochmals in Stanley Kramers „Das Urteil von Nürnberg“ auf, einem Film aus dem Jahr 1961 mit Spencer Tracy, Maximilian Schell und Marlene Dietrich. Marlene Dietrich hatte dieses Lied während des Krieges in der Uniform eines U.S. Captain für die Invasionstruppen gesungen und später für die Kriegsveteranen. Es gibt auch einen Dokumentarfilm über „Lili Marleen“, den einer der Söhne von Schultze 1970 für das Fernsehen drehte. Das Lied erlebte damals einen besonderen Boom in Japan. Rainer Werner Faßbinders Film „Lili Marleen“ mit Hanna Schygulla wurde nach Lale Andersens Autobiographie gedreht.

Zwei „Pflichtlieder“ aus dem NS-Repertoire

Literatur:

Werner Burkhardt: Beilage zu der LP-Kassette „Musik der Stunde Null“. Eine Dokumentation. Schallplatten-Edition des Zeitmagazins
Hans-Jochen Gamm: Der braune Kult. Das Dritte Reich und seine Ersatzreligion. Hamburg 1962
Hanns-Werner Heister / Hans-Günter Klein (Hg.): Musik und Musikpolitik im faschistischen Deutschland. Frankfurt am Main 1984
Matthias von Hellfeld: Bündische Jugend und Hitlerjugend. Zur Geschichte von Anpassung und Widerstand 1930-1939. Köln 1987 (Edition Archiv der deutschen Jugendbewegung, Bd. 3)

Johannes Hodek: „Sie wissen, wenn man Heroin nimmt...“ Von Sangeslust und Gewalt in Naziliedern. In: Musik und Musikpolitik im faschistischen Deutschland, hg. von Hanns-Werner Heister und Hans-Günter Klein. Frankfurt am Main 1984. S. 19–35
Arno Klönne: Gegen den Strom. Hannover und Frankfurt am Main 1960
Arno Klönne: Jugendbewegung und Faschismus. In: Jahrbuch des Archivs der deutschen Jugendbewegung 12/1980
Gerd Kratzat: Zündende Lieder. Einsatz und Wirkung nationalsozialistischer Propagandalieder. In: Zündende Lieder – Verbrannte Musik. Folgen des Nationalsozialismus für Hamburger Musiker und Musikerinnen, hg. von der Projektgruppe Musik und Nationalsozialismus. 1988. S. 86–100
Erika Mann: Zehn Millionen Kinder. Die Erziehung der Jugend im Dritten Reich. München 1986
Fritz Markmiller: Beobachtungen zum Fest- und Brauchwesen während der NS-Zeit. Teil II. In: Der Storchenturm. Geschichtsblätter für die Landkreise um Dingolfing, Landau und Vilsbiburg, 21./22. Jg., H. 42/43
Gisela Probst-Effah: Lieder im NS-Kult. In: Musikalische Volkskultur als soziale Chance. Laienmusik und Singtradition als sozialintegratives Feld, hg. von Günther Noll und Helga Stein. Essen 1996 (Musikalische Volkskunde. Materialien und Analysen. Schriftenreihe des Instituts für Musikalische Volkskunde der Universität zu Köln, Band 13)
Wilhelm Schepping: Das Lied als Corpus delicti in der NS-Zeit. In: Beiträge zur Musikgeschichte der Stadt Düsseldorf, hg. von Julius Alf. Köln 1977 (= Beiträge zur rheinischen Musikgeschichte, H. 118)
Wilhelm Schepping: Kommentar zu dem Lied „Unsre Fahne flattert uns voran“. In: Geschichte in Liedern. Deutschland im 20. Jahrhundert. CD-Begleitheft Texte–Noten–Erläuterungen. Heidelberg 1997 (RAAbits Geschichte)
Ilse Staff (Hg.): Justiz im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Frankfurt am Main 1978
Annemarie Stern: Lieder gegen den Tritt. Oberhausen o.J.
Klaus Vondung: Magie und Manipulation. Ideologischer Kult und politische Religion des Nationalsozialismus. Göttingen 1971
Fridolin Wimmer: Das historisch-politische Lied im Geschichtsunterricht: exemplifiziert am Einsatz von Liedern des Nationalsozialismus und ergänzt durch eine empirische Untersuchung über die Wirkung dieser Lieder. Frankfurt am Main u.a. 1994

Tonträger:

Geschichte in Liedern. Deutschland im 20. Jahrhundert. CD und Begleitheft. Heidelberg 1997 (RAAbits Geschichte)

1. „Unsre Fahne flattert und voran“

Am 17. Juni 1933 wurde Baldur von Schirach zum „Jugendführer des Deutschen Reiches“ ernannt. Seine erste Amtshandlung war das Verbot der bündischen Jugend. Die Auflösung bestimmter Gruppen war ein erster Schritt der nationalsozialistischen Machthaber zu dem Ziel, die gesamte deutsche Jugend in einem Staatsjugendverband zusammenzuzwingen. Wie die NSDAP nunmehr die einzige Partei sein sollte, so sollte die HJ die einzige Jugendorganisation sein.

Die Gleichschaltung wurde mithilfe der „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933“ erzwungen, die u.a. die Einschränkung der persönlichen Freiheit sowie des Rechtes auf freie Meinungsäußerung, des Vereins- und Versammlungsrechts, des Brief- und Postgeheimnisses legalisierte und Haussuchungen und Beschlagnahmungen erlaubte. Bei Zuwiderhandlungen wurden hohe Gefängnis- bzw. Geldstrafen, manchmal auch die Todesstrafe verhängt.

Die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ richtete sich zunächst gegen die Kommu­nisten („Auf Grund des Artikels 48, Abs. 2 der Reichsverfassung wird zur Abwehr kommuni­stischer staatsgefährdender Gewaltakte folgendes verordnet...“), sie wurde per Erlaß am 3. März 1933 auch auf Anarchisten und Sozialdemokraten angewandt (diejenigen, „die mit den Kommunisten zusammenarbeiten und deren verbrecherische Ziele, wenn auch nur mittelbar, unterstützen oder fördern“; Staff 1978, S. 56 f.). In einem weiteren Erlass Görings an die Po­lizeibehörden wurde ihre Übertragung auf „alle Personen als zulässig bezeichnet..., die Ver­haltensformen zeigten, ‚die geeignet sind, Unzufriedenheit über die von der nationalen Regie­rung getroffenen Maßnahmen zu erzeugen und eine Fortsetzung der marxistischen Hetze‘ darstellten“ (Staff 1978, S. 57). Diese Bedingungen erfüllte bereits, wer es unternahm, „den organisatorischen Zusammenhang einer früheren bündischen Vereinigung zu bilden, insbe­sondere wer auf andere Personen durch Weitergabe von bündischem Schrifttum, Liederbü­chern und dergleichen einwirkt, oder wer bündische Bestrebungen in anderer Weise unter­stützt...“ (Klönne 1960, S. 48 )

Am 23. Juni 1933 verbot Schirach fast alle nichtkonfessionellen Jugendbünde. Am Ende des Jahres 1933 dehnte er das Verbot auf die evangelische Jugend aus. Mit dem Reichsbischof Müller, dem Vorkämpfer der mit Hitler sympathisierenden „Deutschen Christen“, schloß er am 19. Dezember 1933 ein Abkommen, das die Eingliederung der gesamten evangelischen Jugend (damals ca. 100 000 Mitglieder) in die HJ verfügte

Der Status der katholischen Jugend unterschied sich von dem der evangelischen. Zwar gab es auch für die katholische Jugend bereits im Juni 1933 die Gefahr, liquidiert zu werden. Dann aber wurde plötzlich die ganze Aktion von Berlin aus gestoppt. Der Grund waren die noch schwebenden Konkordatsverhandlungen zwischen dem Heiligen Stuhl in Rom und dem Hitlerregime. Als am 20. Juli 1933 das Reichskonkordat unterzeichnet war, begann für die katholische Jugend eine vorübergehende Atempause. In späteren Jahren verschlechterte sich die Lage der katholischen Jugendverbände. Das „Reichsjugendgesetz“ verfügte am 1. Dezember 1936 die Zwangsmitgliedschaft aller Jugendlichen in der HJ.

Die Hitlerjugend adaptierte bewährte Formen des Gemeinschaftslebens der bündischen Jugend (z. B. gemeinsames Wandern, Singen, Lagerfeuer), ein Teil des bündischen Liedrepertoires wurde übernommen.

Ein Kernlied der Hitlerjugend war „Unsre Fahne flattert uns voran“, dessen Textverfasser der Reichsjugendführer Baldur von Schirach war. In der Vertonung von Hans Otto Borgmann war dieses Lied durch den Ufa-Tonfilm „Hitlerjunge Quex“ und viele Liederbücher seit 1933 ver­breitet. Es gehörte zum Pflichtlied-Repertoire der Hitlerjugend.

Vorwärts! Vorwärts! Schmettern die hellen Fanfaren.
Vorwärts! Vorwärts! Jugend kennt keine Gefahren.
Deutschland, du wirst leuchtend stehn,
mögen wir auch untergehn.
Vorwärts! Vorwärts
...
Ist das Ziel auch noch so hoch,
Jugend zwingt es doch!
Unsre Fahne flattert uns voran.
In die Zukunft ziehn wir Mann für Mann.
Wir marschieren für Hitler durch Nacht und Not
Mit der Fahne der Jugend für Freiheit und Brot.
Unsre Fahne flattert uns voran.
Unsre Fahne ist die neue Zeit.
Und die Fahne führt uns in die Ewigkeit!
Ja, die Fahne ist mehr als der Tod!
Jugend! Jugend! Wir sind der Zukunft Soldaten.
Jugend! Jugend! Träger der kommenden Taten,
Ja, durch unsre Fäuste fällt,
wer sich uns entgegenstellt.
Jugend! Jugend
...
Führer, wir gehören dir,
wir, Kam’raden dir!
Unsre Fahne flattert uns voran
...

Bei allen Feiern des Deutschen Jungvolks (DJ), der Hitlerjugend (HJ) und des Bundes Deut­scher Mädel (BDM) wurde dieses Lied gesungen. Es propagiert das Ideal einer Jugend, die „keine Gefahren kennt“ und die Hitler folgendermaßen charakterisierte: „flink wie Wind­hunde, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl“. Kampf und Sterben für die Fahne (die „mehr als der Tod“ sei), den „Führer“ (dem man blind – „durch Nacht und Not“ – folgt) und das Vater­land werden als psychologische Einstimmung auf den geplanten Krieg glorifiziert. Der Krieg, der längst mit modernen Vernichtungswaffen geführt wurde, wird reduziert auf einen Kampf „Mann gegen Mann“, bei dem wie bei einer jugendlichen Rauferei nur der Körper eingesetzt wird: „Ja, durch unsre Fäuste fällt, wer sich uns entgegenstellt“.

Hans-Jochen Gamm schreibt zu der psychologischen Wirkung dieses Liedes: „Es mutete selt­sam an, aus dem Munde zehnjähriger Kinder zu hören, daß ‚die Fahne mehr als der Tod‘ sei. Der Nationalsozialismus unterstellte auch das Kind ohne Einschränkung den Parolen, die meistens einen blutigen Hintergrund hatten. Die Heranwachsenden ihrerseits konnten daran kaum Anstoß nehmen, da ihnen Vergleichsmöglichkeiten fehlten. So entstand der Wider­spruch zwischen den kindlichen Gesichtern und den oft mörderischen Liedern, die man ihnen eingeprägt hatte. Unzählige junge Menschen wurden dadurch verdorben, daß man ihnen keine sittlichen Modelle als Maßstäbe anbot. So fanden sie sich auch bereit, insbesondere, wenn sie im SS-Geist erzogen wurden, die Blutaufträge der Vorgesetzten blind auszuführen und nicht zu fragen, ob es recht sei. Besonders in Rußland wurden Erschießungen der Zivilbevölkerung von sogenannten ‚Einsatzgruppen‘ vollzogen. Hitlers Erziehungsziel war ja, das ‚Raubtier‘ wieder wachzurufen und die jahrhundertelange ‚Domestikation‘ rückgängig zu machen“ (Gamm 1962, S. 49 ).

Von dem Lied „Unsre Fahne flattert uns voran“ kursierten während des Dritten Reiches auch inoffizielle Fassungen, die beweisen, dass nicht alle Jugendlichen der Propaganda zum Opfer fielen, z. B.:

"Brüder, Brüder, laßt uns die Flammen bewahren,
Brüder, Brüder, wehret den stumpfen Barbaren,
Nirgend laßt den Baldur ran,
daß er nichts zertrampeln kann.
Laßt ihn trügen. werben mit lockenden Klängen.
Laßt ihn lügen, hetzen, drohen und bedrängen.
Steht er heut auch noch so hoch,
Einmal kippt er doch.

Refrain:

Unser Baldur flattert uns voran,
Unser Baldur ist ein dicker Mann
Wir marschieren trotz Schirach, durch Nacht und Verbot,
Und wir schern uns den Teufel um Neid und Verbot.
Unser Baldur flattert uns voran,
Unser Baldur meint die neue Zeit
Doch wir halten uns wachsam und trutzig bereit,
Unser Bund gilt uns mehr als der Tod.

Oder auch:

Rückwärts, rückwärts quaken die trägen Fanfaren,
Baldur Liebling sei dir darüber im klaren,
Wenn ein neuer Geist sich rührt,
wirst du schleunigst abserviert.
Wotan selber kann dich dann nicht halten
...

Eine weitere Parodie findet sich bei Annemarie Stern, Lieder gegen den Tritt, Oberhausen o.J., S. 309.

Einige dieser Parodien finden sich in Akten der Geheimen Staatspolizei, die auch belegen, dass diejenigen, die solche umtextierten Fassungen sangen, viel riskierten. Einer der Sänger einer solchen Parodie war ein 20-jähriger Angehöriger der katholischen Jugend. Er wurde im Mai 1934 denunziert, verhaftet und angeklagt, „das Lied der HJ in gehässiger Form zum Hetzlied der katholischen Jugend umgedichtet zu haben“ (Akte Nr. 37 918, Hauptstaatsarchiv Düsseldorf). Das Verhör brachte weitere Mitwisser bzw. Mittäter ins Spiel; zwei Angehörige der katholischen Sturmschar wurden verhaftet. Da die Mittäter mit 13 Jahren strafunmündig waren, wurde für sie ein Strafverfahren nicht eröffnet. Die Härte der Justiz traf den bereits volljährigen Erstverhafteten, und zwar durch eine damals gängige Taktik: Er wurde der „Unzucht zwischen Männern“ angeklagt. „Das wirksamste und vor allem juristisch abgesichertste Mittel, illegale Gruppen mit Strafe belegen zu können, war die Anwendung des Paragraphen 175, der im Dritten Reich erheblich verschärft wurde. Damit hatten die Nationalsozialisten eine ... Handhabe gegen politisch mißliebige Personen oder Gruppen, denen – meist propagandistisch wirkungsvoll unterstützt – homosexuelle Handlungen vorgeworfen wurden. Davon besonders betroffen waren katholische Priester und ... auch mißliebige Soldaten oder SA-Funktionäre“ (Hellfeld 1987, S. 208).

2. „Siehst du im Osten das Morgenrot“

Siehst du im Osten das Morgenrot
(Melodie und Text: Arno Pardun)

Siehst du im Osten das Morgenrot,
ein Zeichen zur Freiheit, zur Sonne?
Wir halten zusammen, ob lebend, ob tot,
mag kommen, was immer da wolle!
Warum jetzt noch zweifeln? Hört auf mit dem Hadern!
Noch fließt uns deutsches Blut in den Adern.
Volk, ans Gewehr! Volk, ans Gewehr!
Viele Jahre zogen dahin,

geknechtet das Volk und betrogen.
Verräter und Juden hatten Gewinn,
sie forderten Opfer Legionen.
Im Volke geboren erstand uns ein Führer,
gab Glaube und Hoffnung an Deutschland uns wieder.
Volk, ans Gewehr!
Deutscher, wach auf, und reihe dich ein,
wir schreiten der Sonne entgegen,
frei soll die Arbeit und frei wolln wir sein
und mutig und trotzig-verwegen.
Wir ballen die Fäuste und werden es wagen,
es gibt kein Zurück mehr und keiner darf zagen!
Volk, ans Gewehr!
Wir Jungen und Alten, Mann für Mann,
umklammern das Hakenkreuzbanner.
Ob Bauer, ob Bürger, ob Arbeitsmann,
sie schwingen das Schwert und den Hammer,
sie kämpfen für Hitler, für Arbeit und Brot.
Deutschland, erwache! ende die Not!
Volk, ans Gewehr!

(aus: Morgen marschieren wir. Liederbuch der deutschen Soldaten, im Auftrag des Oberkom­mandos der Wehrmacht hg. von Hans Baumann, 2. Aufl. Potsdam 1939, S. 181 f.)

Dieses Lied mit dem agitatorischen Refrain „Volk ans Gewehr“, das zu den bekanntesten und am häufigsten gesungenen Massenliedern des „Dritten Reiches“ gehörte, schrieb der Berliner Hobby-Musiker und Kaufmann Arno Pardun 1931 und widmete es Joseph Goebbels (Hodek 1984, 31). Da es inhaltlich zum aktuellen Kriegsgeschehen in Osteuropa des Jahres 1942 einen gewissen Bezug aufweist, war es zum damaligen Zeitpunkt für die Propaganda besonders nütz­lich. Andererseits ist die Szenerie des Liedes von jeglichem Realismus weit entfernt. Der „Os­ten“ erscheint hier nicht als ein konkreter geographischer Ort, sondern – wie auch das „Mor­genrot“ und die „Sonne“ – als Metapher für eine bereits sichtbare siegreiche, freiheitliche Zu­kunft; als irrealer, übergeschichtlicher Schauplatz heroischer, schicksalhafter Auseinanderset­zungen existierte er in der Sprache der nationalsozialistischen Ideologen schon lange vor Kriegs­beginn. Der Kampf, der dem sicheren, unzweifelhaften Sieg vorausgeht, ist im Lied – im Gegen­satz zum realen Kriegsgeschehen – schon fast überwunden, die aktuelle Not wird in die Vergan­genheit, die Zeit vor dem „Dritten Reich“, projiziert und einem fiktiven „Feind“ – dem „Verrä­ter“ und „Juden“ – angelastet. Der Ausgang des Kampfes, so suggeriert es der Text, ist durch die Rassenzugehörigkeit vorentschieden, und die – auch musikalisch durch weite Intervallsprünge besonders nachdrücklich und großspurig geäußerte – Überzeugung von der natürlichen Überle­genheit der eigenen Rasse übertönt alle Zweifel, Ängste und Hemmungen und lässt Fragen nach Ursache, Sinn und Ziel des Krieges verstummen („Warum jetzt noch zweifeln, hört auf mit dem Hadern, noch fließt uns deutsches Blut in den Adern“). Als Grundprinzip des Lebens erscheint der Kampf auf eine übergeschichtliche Ebene entrückt. Den Charakter der Zeitlosigkeit erhält er auch durch die Verwendung von Bildern und Begriffen aus einer idealisierten Vergangenheit: Hans-Jochen Gamm hat darauf hingewiesen, dass der Nationalso­zialismus, obgleich er sich „als ausgesprochen realistisch und als allen Mystizismen abhold“ betrachtet habe, niemals die ge­genwärtigen Kriegsinstrumente wie das Panzerfahrzeug besungen habe, sondern z. B. das für die Eroberungszüge des 20. Jahrhunderts völlig ungeeignete Pferd (Gamm 1962, 21). So wird im Lied „Siehst du im Osten das Morgenrot“ die „Schlacht“ – trotz des Aufrufs „Volk ans Gewehr“ im Refrain – nicht mit modernen Waffen, sondern mit dem altertümlichen „Schwert“ geführt. (Zur besonderen Wirkung des Liedes „Volk, ans Gewehr!“ vgl. auch Hodek 1984, 31ff.)

Viele nationalsozialistische Lieder fungierten als gesungene Propagandaparolen; sie veränderten die Wahrnehmung und schufen eine „zweite Realität“ (Vondung 1971, 193): „Das von Hun­derttausenden immer wieder gesungene und darum einverleibte Lied verwandelt die Wirklichkeit im Sinne der ausgesagten Idee“ (Gamm 1962, 15). Verstärkt wurde die agitatorische Wirkung durch Massengesang und gemeinsames Marschieren.

„Das einheitliche und meist einstimmige Singen eines Liedes kann ein Gefühl von un­eingeschränkter Macht, von Unbesiegbarkeit hervorrufen. Der Einzelne fühlt sich gebor­gen, sicher, aufgehoben; dieses orgiastische ‚Aufgehen in der Masse‘, von dem man sich emotional nur schwer distanzieren kann, enthält die Bereitschaft zur Aufgabe des eigenen freien Willens. Die Anfälligkeit für ideologische Aussagen ist in diesen erhebenden Mo­menten besonders groß. Das subjektive Gefühl beim Singen wird fälschlicherweise als Wahrhaftigkeit der Musik und der Textaussage gedeutet. Und der Eindruck der Wahr­haftigkeit wird für den Einzelnen durch die Beobachtung gestützt, daß alle anderen über­zeugt zu singen scheinen“ (Kratzat 1988, 95 ).

Viele Foto- und Filmdokumente bezeugen, dass insbesondere die nationalsozialistischen Groß­veranstaltungen ihr Ziel nicht verfehlten: Sie zeigen jubelnde Volksmassen. Ausländische Beob­achter haben mitgeteilt, dass die Bevölkerung bei den Nürnberger Parteitagen „wie von einem Rausch befallen und die alte Stadt in einen unvergeßlichen Zauber gehüllt“ gewesen sei (Gamm 1962, 109 ). Selbst in kritischen wissenschaftlichen Darstellungen des NS-Kultes wird – fast wi­derstrebend – dem Nationalsozialismus die Fähigkeit zugestanden, große Teile der Bevölkerung emotional zu packen und zu faszinieren. Der „beinahe südländisch anmutende Enthusiasmus“ der Menschen sei, meint Hans-Jochen Gamm, nicht gestellt, sondern ehrlich gewesen (ebd., S. 126 ).

Die „Gleichschaltung“ der Individuen in der „Masse“ während des Dritten Reiches weckte Emp­findungen der Fremdheit und Ohnmacht in denen, die den öffentlich propagierten Idealen miss­trauten oder sie ablehnten. Geborgenheit in der Menschenmasse erlebte nur, wer sich der Ge­meinschaft der „Gläubigen“ zugehörig fühlte – am intensivsten wohl die Jugendlichen, die kaum Alternativen kannten und die durch die „völlige Abgeschlossenheit [...] der Naziwelt“ (Mann 1986, 39 ) den Zwang des Systems, in dem ihr Leben verplant wurde, nicht wahrzuneh­men ver­mochten. Die Disziplinierung und Unterordnung des einzelnen in gleichgeschalteten Marschko­lonnen riss Berichterstatter der Nürnberger Reichsparteitage zu schwärmerischen Bil­dern hin, in denen sich die Entsubjektivierung und Instrumentalisierung der Menschen unmiss­verständlich ausdrückt:

„Man erkennt von hier oben nicht mehr den einzelnen Mann, den Fackelträger, man sieht nur noch das Ganze, sieht den Gau, der im Gleichschritt vorbeizieht, sieht nur das eine Feuer, das sie alle tragen“ (zit. nach Gamm 1962, 113).

„Die Jungvolk-Kapelle rückt vor, Musik klingt auf, die Fahnen dieser Jugend marschie­ren ein“ (ebd., 114).

Es gilt durch massenpsychologische Untersuchungen als erwiesen, dass das Gefühl kollektiver Stärke sich mit feindseligen Affekten gegenüber Außenstehenden verbindet. Die Integration in das Wahngebilde der „Volksgemeinschaft“ war nur möglich durch die rigorose Ausschaltung aller störenden „Elemente“. Die scheinbar klassenlose, auf unveränderlichen, nämlich biologi­schen Wesensmerkmalen beruhende Gemeinschaft brandmarkte als „artfremd“, was von den staatlich verordneten Normen abwich. Sie ging erbarmungslos gegen diejenigen vor, die nach der herrschenden Auffassung aus rassischen Gründen nicht anpassungsfähig waren, sowie gegen sog. „Miesmacher“, „Nörgler“ und „Stänkerer“, die die Anpassung freiwillig verweigerten. – Die „Times“ vom 23.8.1933 berichtete:

„In Neu-Ruppin [...] wurde ein Mädchen, weil es sich nicht erhoben hatte, als das Horst-Wessel-Lied gespielt wurde, unter der Bewachung von Sturmtruppen durch die Stadt ge­führt. Sie trug am Rücken und auf der Brust je ein Plakat mit der Inschrift: 'Ich schamlose Kreatur habe es gewagt, sitzen zu bleiben, als das Horst-Wessel-Lied gesungen wurde, und habe so die Opfer der Nationalen Revolution mißachtet.' [...] Die Zeit des Schau­spiels war vorher in der Ortszeitung angegeben worden, so daß große Menschenmengen sich versammeln konnten“ (zit. nach Heister 1984, 311).

Wie Markmiller mitteilt, bildeten Diffamierungen und Diskriminierung manchmal Bestandteile des Brauchtums. Hierbei offenbarte sich in krasser Weise die Negativseite der sozial integrativen Wirkungen von Volkskultur. So „benutzte die Partei die Feier der Sommersonnenwende 1934 gezielt dazu, im Feuer des Holzstoßes die "Volksschädlinge" aus dem "Volkskörper" aus­zubren­nen, wie wenn es sich dabei um einen Schlangenbiß mit der Ge­fahr einer Blutvergiftung gehan­delt hätte“ (Markmiller 1986/87, S. 253).

Die Dingolfinger Lokalzeitung berichtete am 25. Juni 1934:

„Gauredner Pg. Kuhr-Bayreuth ergriff nach seiner Ansprache nochmals das Wort, um abzurechnen mit den Juden, Stänkerern, Nörglern und Miesmachern. [...] Der Jude soll ausgelöscht werden für immer aus Deutschlands Geschichte, das Miesmacher- und Stän­kerertum sollen die Flammen wegzehren. Symbolisch wurden nun die Feinde des dritten Reiches ins Feuer geworfen“ (Markmiller 1986/87, S. 253).

Wir wissen, was später geschah: Die propagandistische Gewalt schlug um in tatsächlichen Ter­ror. So kündigte das nationalsozialistische Regime im Rahmen von Festen und Feiern in symbo­lischen Handlungen sein „politisches Programm“, die geplante Massenvernichtung in den Kon­zentrationslagern, an.

Fortsetzung nächste

Ergebnisse und Ansätze aus universitärem Bereich

Beitrag von micha » 18.08.2006, 06:41

Volles Zitat eines Links. Das Deutschlandlied wirdim Zusammenhang mit anderen Liedern des 20. Jahrhunderts behandelt:

http://www.uni-koeln.de/ew-fak/Mus_volk ... t/20Jh.htm

Das 20. Jahrhundert in Liedern
(Seminar Probst-Effah, Wintersemester 2005/06, Universität Köln)

(Das Skript basiert auf einem Teil der im folgenden genannten Literatur und auf Beiträgen, die im Rahmen des Seminars entstanden.)

Inhalt:
Das „Lied der Deutschen“
„Horst-Wessel-Lied“
Die Nationalhymne der DDR („Auferstanden aus Ruinen“)
Die „Internationale“
„Lili Marleen“
Zwei „Pflichtlieder“ aus dem NS-Repertoire
Das „Moorsoldatenlied“
Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung:
„If you miss me at the back of the bus“ (Charles Neblett);
Bob Dylan, „Hurricane“
Antikriegslieder: „Zogen einst fünf wilde Schwäne“;
Pete Seeger: Where have all the flowers gone“;
Bob Dylan: „Blowin’ in the Wind“
Ton Steine Scherben: „Keine Macht für Niemand“
Elton John

Das „Lied der Deutschen“

Literatur:

U. Enzensberger: Auferstanden über alles. Berlin 1986
Birgit Glaner: Art. „Nationalhymnen“. In: Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG)
Ulrich Günther: „...über alles in der Welt“? Neuwied u. Berlin1966
Hans Jürgen Hansen: Heil Dir im Siegerkranz. Die Hymnen der Deutschen. Heidelberg / Ol­denburg 1978
U. Greve: Einigkeit und Recht und Freiheit. Kleine Geschichte des Deutschlandliedes. Hei­delberg 1982
Guido Knopp / Ekkehard Kuhn: Das Lied der Deutschen. Schicksal einer Hymne. Berlin, Frankfurt am Main 1988
Hermann Kurzke: Hymnen und Lieder der Deutschen. Mainz 1990
Nationalhymnen. Texte und Melodien. Stuttgart 1982
Nationalhymnen. 21 neue Arrangements. Mainz etc.: Schott, 1988
Ulrich Ragozat: Die Nationalhymnen der Welt. Ein kulturgeschichtliches Lexikon. Freiburg i.Br. 1982
Fritz Rumler: Wigman, Walstatt, Walhall. Die bizarre Welt der Nationalhymnen. Spiegel Spezial 6/1999. S. 66
Hans Tümmler: Deutschland, Deutschland über alles. Köln 1979

Tonträger:

Deutschlandlied, gesungen von Heino und Chor. EMI Electrola GmbH 1978 (unverkäufliche Sonderauflage)
Geschichte in Liedern. Deutschland im 20. Jahrhundert. CD + Buchpublikation. Stuttgart 1997 (RAAbits Geschichte)
10 Jahre Schlagerparade 1941–1950“. 10 LP. Deutsche Grammophon Gesellschaft mbH / Polydor Mono 2630137 (auf LP 8 „Trizonesien-Song“)
CD „Hymnen der Deutschen“. Stimmen des 20. Jahrhunderts. Deutsches Historisches Mu­seum, Deutsches Rundfunkarchiv 1998

Videocassette:

Das Lied der Deutschen. Vom Umgang mit unserer Hymne. Dokumentation von Ekkehard Kuhn. ZDF, 19.05.1986

Nationalhymnen

Definition: „Die Nationalhymne ... ist ein in der Regel mit Text unterlegtes Musikstück, das durch staatliches Dekret zum nationalen Symbol erhoben wird ... Zusammen mit der Staats­flagge und dem Staatswappen repräsentiert sie die nationale Souveränität eines Landes. Die Nationalhymne wird bei staatlichen, sportlichen und anderen öffentlichen Anlässen gesungen bzw. gespielt“ (Glaner, Sp. 16). Oft erklingen Nationalhymnen auch zum Sendeschluss der Rundfunkanstalten, in manchen Ländern auch am Ende von Theater- und Kinovorstellungen.

Geschichte

Der Begriff „Hymne“ bedeutet ursprünglich den rituellen Opfer-, Fest- und Lobgesang zu Ehren einer Gottheit. Später gab es auch säkularisierte Hymnen (oder Oden), die Volkshelden oder weltliche Herrscher priesen. Mit dem beginnenden Nationalismus im 19. Jahrhundert „wird schließlich auch das Vaterland zum quasi-göttlichen Gegenstand der gesungenen Ver­ehrung“ (Glaner, Sp. 16). Das erste deutschsprachige Lied, das die Ehre des Vaterlandes ver­herrlicht, wird bereits Walther von der Vogelweide zugesprochen („Ir sult sprechen: willeko­men“, um 1200). Vorläufer der Nationalhymne sind auch religiöse Kampflieder wie Luthers reformatorisches „Ein feste Burg“ (1529). Als älteste Nationalhymne gilt „Wilhelmus von Nassouwe“ (1568), das seit 1932 offizielle Staatshymne der Niederlande ist.

Als wegweisend bei der weltweiten Verbreitung von Nationalhymnen gelten die französische „Marseillaise“ und das englische „God Save the King / Queen“. Die englische Hymne, deren Urheberschaft noch nicht genau erforscht ist und die erstmals 1745 in der Öffentlichkeit er­klungen sein soll, wurde sehr populär und in der ganzen Welt von zahlreichen anderen Staa­ten adaptiert. Sie war u.a. Vorlage für das 1793 von Balthasar Gerhard Schumacher gedichtete „Heil Dir im Siegerkranz“ (erstmals veröffentlicht 1793).

Die französische „Marseillaise“ galt als Prototyp der Revolutionshymne. Sie soll in der Nacht vom 24. Zum 25. April 1792 entstanden sein, als die Nachricht der Kriegserklärung Frank­reichs an die Monarchien Deutschland und Österreich Straßburg erreichte. Inspiriert von der patriotisch aufgeheizten revolutionären Atmosphäre, schrieb der Pionierhauptmann und Gele­genheitsmusiker Cl. J. Rouget de Lisle Melodie und Text des „Chant de guerre pour l’armée du Rhin“, das am folgenden Tag uraufgeführt wurde und sich schnell verbreitete. Das Lied begleitete Truppen aus Marseille auf ihrem Weg nach Paris und erhielt daher seinen Namen. Die „Marseillaise“ diente zahlreichen Ländern in der Phase nationaler Selbstbehauptung als Vorbild. Im Laufe des 20. Jahrhunderts erhielten viele Länder ihre staatliche Unabhängigkeit – so die ehemaligen Kolonien oder die Länder des zerbrochenen „Ostblocks“ – und wollten nun ihre eigenen musikalischen Staatssymbole. Bemerkenswert ist, daß außereuropäische Nationalhymnen nicht auf der musikalischen Tradition des jeweiligen Landes basieren, son­dern westeuropäische Melodietypen adaptieren. Prägend war dabei oft der Stil der durch die ehemalige Kolonialmacht importierten Militärmusik.

Das „Lied der Deutschen“

Hier handelt es sich eigentlich um ein Lied, das vor dem 20. Jahrhundert entstanden ist. Na­tionalhymne wurde „Deutschland, Deutschland über alles“ jedoch erst im 20. Jahrhundert.

Im Januar 1797 entstand die österreichische Kaiserhymne („Gott erhalte Franz den Kaiser“). Als napoleonische Truppen auf Wien vorrückten, schrieb Joseph Haydn (1732-1809) die Melodie im Stil der englischen Hymne, die er auf seiner Londonreise (1790-1795) kennenge­lernt hatte. Baron Gottfried van Swieten leitete die bereits als Nationalhymne konzipierte Komposition an den Wiener Hof weiter, wo Innenminister Graf Franz von Saurau den Theo­logieprofessor Lorenz Leopold Haschka mit der Textdichtung beauftragte. Am 12. Februar 1797 wurde die Hymne anlässlich des Geburtstages von Kaiser Franz II. am Wiener Hofthea­ter uraufgeführt. Mit dem Zusammenbruch der Monarchie 1918 wurde die Kaiserhymne ob­solet.

Haydn erweiterte die von ihm komponierte Hymne später zu dem Variationensatz (Adagio) seines „Kaiserquartetts“ in C-dur (op. 76, Nr. 3).

Der Textdichter des „Liedes der Deutschen“ war August Heinrich Hoffmann von Fallers­leben ( 1798-1874). Das „von Fallersleben“ war kein Adelstitel, sondern diesen Zusatznamen hatte Hoffmann sich selbst gegeben, und zwar nach seinem Geburtsort, wo er am 2. April 1798 zur Welt gekom­men war: Fallersleben in der Nähe von Braunschweig.

Seit 1823 lebte Hoffmann in Breslau (Schlesien). Er hatte dort seit 1830 eine Professur für Germanistik – ein damals neues Fach, begründet von Jakob Grimm. Hoffmann hatte sich nach einer Begegnung mit Grimm dem Studium der deutschen Literatur und Sprache zugewandt. Er beschäftigte sich nicht nur wissenschaftlich mit Sprache und Literatur, sondern sammelte auch Volkslieder und schrieb selbst Verse im volksliedhaften Stil („Kuckuck, Kuckuck ruft’s aus dem Wald“, „Alle Vögel sind schon da“, „Morgen kommt der Weihnachtsmann“, „Win­ter, ade!“).

Hoffmann engagierte sich in den Burschenschaften für eine Demokratisierung Deutschlands. In den Burschenschaften hatten sich seit 1815 Studenten und Professoren zusammengeschlos­sen, die in den Befreiungskriegen gegen Napoleon gekämpft hatten und von den Beschlüssen des Wiener Kongresses enttäuscht waren. 1817 Wartburgfest. Gefordert wurden nationale Einheit und Freiheit und Gleichheit aller Bürger. Mit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 wurden die Burschenschaften verboten. Trotz des Verbots gab Hoffmann gemeinsam mit Ernst Moritz Arndt, der aus politischen Gründen seine Professur verloren hatte, die „Bonner Burschenlieder“ heraus.

1840 veröffentlichte Hoffmann die Gedichtsammlung „Unpolitische Lieder“ bei dem Ham­burger Verleger Hoffmann und Campe, der auch der Verleger Heinrich Heines und anderer Vormärzliteraten war. Der Titel war eine bewusste Irreführung der Zensur, denn die Gedichte riefen nach gesellschaftlichen und politischen Veränderungen und forderten die nationale Einheit Deutschlands.

Im August 1841 reiste Hoffmann zu einer Kur nach Helgoland, das damals ein bekannter Ba­deort war. Die Nordseeinsel war seit 1806 in britischem Besitz. Während dieses Aufenthalts schrieb er passend zu Haydns Melodie drei Strophen mit dem Textanfang „Deutschland, Deutschland über alles“.

Am 28. August 1841 kam der Verleger Campe gemeinsam mit dem Stuttgarter Buchhändler Paul Neff zu Besuch nach Helgoland. Er brachte Hoffmann das erste fertige Exemplar des zweiten Teils der „Unpolitischen Lieder“. Bei dieser Gelegenheit bot der dem Verleger für vier Louisdor das „Lied der Deutschen“ an. Schon wenige Tage später erschien es als Einzel­druck.

Mit dem „Lied der Deutschen“ und den „Unpolitischen Liedern“ galt Hoffmann als ein „auf­müpfiger“ Dichter und Staatsfeind. In vielen deutschen Staaten wurden seine Gedichte und Lieder verboten. 1842 verlor er seine Professur und wurde des Landes verwiesen. Es wird in der Literatur immer wieder betont, daß Hoffmann von Fallersleben Republikaner und Demo­krat gewesen sei. „Sein Gedicht (das Deutschlandlied) war nie ein chauvinistischer Fanfaren­stoß, sondern stets ein leidenschaftlicher Appell an die zersplitterten Partikularstaaten des deutschen Bundes gewesen – ein Aufruf zur inneren Einigung“ (Knopp / Kuhn 1988, S. 12).

Mit seiner Amtsenthebung begannen für Hoffmann Jahre der Verfolgung. Er konnte sich nir­gendwo niederlassen, wurde immer wieder ausgewiesen. Unterdessen wurde sein „Lied der Deutschen“ populär. (Es soll über fünfzig Mal vertont worden sein; s. Knopp / Kuhn 1988, S. 32.) 1843 erschien es in einem Kommersbuch „Deutsche Lieder“; 1844 wurde es in Ludwig Bechsteins „Deutschem Dichterbuch“ und im „Allgemeinen deutschen Lieder-Lexikon“ ab­gedruckt. Nach einem unsteten Wanderleben verbrachte Hoffmann seit 1860 seine letzten Lebensjahre als Bibliothekar des Herzogs von Ratibor in Corvey – das Schloß Corvey liegt an der Weser. Dort starb er am 19. Januar 1874.

Aufführungen des Liedes: Erstmals wurde das „Deutschlandlied“ im Oktober 1841 von der von Albert Methfessel gegründeten „Hamburger Liedertafel von 1823“ in Anwesenheit des Textdichters gesungen. Es erklang im August 1890 bei der Feier der Übergabe der bislang zu Großbritannien gehörenden Insel Helgoland an Deutschland – sie war gegen Sansibar einge­tauscht worden. Als offizielle Hymne setzte es sich aber nur langsam durch. Es gab keine Reichshymne, statt dessen zahlreiche regional begrenzte Volks- und Landeshymnen, so etwa die bis in die Gegenwart bekannte „Bayernhymne“ „Gott mit dir, du Land der Bayern“. Bei der Proklamation des Deutschen Kaiserreichs am 18. Januar 1871 wurde „Heil Dir im Sieger­kranz“ auf die Melodie der englischen Nationalhymne gesungen. „Heil Dir im Siegerkranz“ blieb bis zum Ende des Wilhelminischen Reiches 1918 inoffiziell nationales Repräsentations­lied bei patriotischen Feiern.

Um 1900 erklang das „Lied der Deutschen“ öfter bei feierlichen Anlässen, und es gehörte zum festen Bestand der deutschen Schulbücher.

Erster Weltkrieg und Weimarer Republik: Während des Ersten Weltkriegs wurde die erste Strophe des Liedes oft bei Siegesmeldungen und in Augenblicken patriotischer Begeisterung angestimmt. „‚Wenn es stets zu Schutz und Trutze, brüderlich zusammenhält‘ entsprach dem deutschen Grundgefühl in jenen Tagen, ‚gegen eine Welt von Feinden‘ ganz allein auf sich gestellt zu sein“ (Knopp / Kuhn 1988, S. 59). Das „Lied der Deutschen“ fungierte vor allem auch als Soldatenlied.

Während des Ersten Weltkriegs entstanden auch zahlreiche Umdichtungen, darunter „wehr­kraftzersetzende“ wie die folgende, die im Mainzer Karneval 1916 gesungen wurde:

Deutschland, Deutschland schwer im Dalles*
Schwer im Dalles in der Welt,
wenn die Marmelad nit alles
brüderlich zusammenhält.
Eier, Butter, Wurscht und Schinke
Sin nur für die Reiche da
Nur mir arme, arme Schlucker
Gucke zu und kreische: Hurra

* Dalles (jiddisch) = Armut, Not

(Knopp / Kuhn 1988, S. 68 )

Seit dem Ersten Weltkrieg betrachteten die Entente-Mächte den Text Hoffmann von Fallers­lebens als Ausdruck imperialer Machtgier und Selbstüberheblichkeit der Deutschen. Daher wurde in den nach 1918 besetzten Gebieten das Lied verboten.

Nach 1918 verstummte die monarchische Hymne, und neben der linken „Internationale“ u.a. Kampfliedern der deutschen Arbeiterbewegung setzte sich Hoffmann von Fallerslebens „Lied der Deutschen“ durch, allerdings hauptsächlich bei den politisch rechten Parteien und Grup­pierungen, was wiederum zur Ablehnung des Liedes bei den Linken führte. Ragozat schreibt: „Als die neugewählten Abgeordneten der Weimarer Nationalversammlung 1919 über die Friedensbedingungen der Alliierten debattierten, unterbrach der Vorsitzende der Zentrums­fraktion die Sitzung und stimmte ‚Deutschland, Deutschland über alles‘ an. Der sozialdemo­kratische Abgeordnete Hugo Haase rief daraufhin: ‚Kriegstreibereien.‘“ (Ragozat 1982, S. 61).

Auch jetzt entstanden wieder viele Umdichtungen. Bekannt wurde die folgende des Münche­ner Schriftstellers Albert Matthäi (Sommer 1919):

Deutschland, Deutschland über alles
Und im Unglück nun erst recht.
Nur im Unglück kann die Liebe
Zeigen, ob sie stark und echt.
Und so soll es weiterklingen
Von Geschlechte zu Geschlecht:
Deutschland, Deutschland über alles
Und im Unglück nun erst recht.

(Knopp / Kuhn 1988, S. 74 )

Diese Zeilen wurden als sog. „Trutzstrophe“ populär. Sie entsprachen der allgemeinen Über­zeugung, daß den Deutschen in und nach Versailles ein historisches Unrecht widerfahren sei.

In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg gab es viele Kontroversen um nationale Symbole, z.B. die Flagge. Die nationalistische Rechte wollte eine Fortsetzung des Schwarz-Weiß-Rot, die Kommunisten die rote Fahne, während Zentrum, SPD und linke Liberale Schwarz-Weiß-Rot durch Schwarz-Rot-Gold ersetzen wollten. Die Parteien der Mitte, der „Weimarer Koali­tion“, konnten sich durchsetzen: Schwarz-Rot-Gold wurde Reichsflagge, doch blieb Schwarz-Weiß-Rot für die Handelsflagge bestehen. (Im Dritten Reich war die Flagge wieder schwarz-weiß-rot, sie wurde gemeinsam mit der Hakenkreuzfahne gehißt.) Als es um die neue Hymne ging, ließen sich die SPD-Fraktion im Reichstag und der Reichspräsident Friedrich Ebert da­von überzeugen, daß das Deutschlandlied geeignet sei – trotz seiner „Belastung“ durch „rechte Interpretatoren“.

Offiziell wurde das „Lied der Deutschen“ am 11. August 1922, dem Verfassungstag der Weimarer Republik, anerkannt, als der sozialdemokratische Reichspräsident Friedrich Ebert in seiner Ansprache die dritte Strophe mit „Einigkeit und Recht und Freiheit“ als Leitgedan­ken hervorhob: „Einigkeit und Recht und Freiheit! Dieser Dreiklang aus dem Liede des Dichters gab in Zeiten innerer Zersplitterung und Unterdrückung der Sehnsucht aller Deut­schen Ausdruck; es soll auch jetzt unseren harten Weg zu einer besseren Zukunft begleiten... Sein Lied ... soll nicht Mißbrauch finden im Parteikampf...; es soll auch nicht dienen als Aus­druck nationalistischer Überhebung“ (Ragozat 1982, S. 61).

Dennoch blieb das Lied bei den Linken diskreditiert, weil die Rechte es stark für sich bean­spruchte. Gegen Ende der 20er Jahre stand das Deutschlandlied in allen Liederbüchern der Rechtsparteien und der NSDAP, während es im sozialistischen „Jugendliederbuch“ fehlte. Kurt Tucholsky mokierte sich über „Deutschland über alles“, „jenen törichten Vers eines großmauligen Gedichts“ (Knopp / Kuhn 1988, S. 81). Es sei, so Tucholsky‚ ein „wirklich schlechtes Gedicht“, „das eine von allen guten Geistern verlassene Republik zu ihrer National­hymne erkor“ (Günther 1966, S. 126).

Das „Dritte Reich“: Am 19. Mai 1933 erklärte Adolf Hitler im „Reichsgesetz zum Schutz na­tionaler Symbole“ das nationalsozialistische „Horst-Wessel-Lied“ („Die Fahne hoch“; s.u.) zum offiziellen Zusatz des Deutschlandliedes, von dem nun die erste Strophe gesungen wurde. Seit 1940 mussten Deutschland- und Horst-Wessel-Lied gemeinsam aufgeführt wer­den. Diese Doppelhymne wurde – wie auch viele andere nationalsozialistische oder national­sozialistisch belastete Lieder – am 14. Juli 1945 durch den Alliierten Kontrollrat verboten.

Auch während des „Dritten Reiches“ kursierten (sowohl pro- als auch antinationalsozialisti­sche) Parodien des Deutschlandliedes. „Mit dem Anschluß Österreichs und der Besetzung Däne­marks und der Niederlande hatte auch das Von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt erneut seinen Status geändert. Aus der Utopie war ... Realität geworden, die Sehnsucht schien erfüllt“ (Kurzke 1990, S. 48 f.). Deshalb sangen deutsche Soldaten:

Von der Maas bis an die Memel,
Von der Etsch bis an den Belt
Stehen deutscher Männer Söhne
Gegen eine ganze Welt

(aus: Soldatenliederbuch, hg. vom Generalkommando des VII Armeekorps, 2. Aufl. München 1940; zit. nach Kurzke 1990, S. 49)

1942 war im „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“ folgende Version im Umlauf:

Deutschland, Deutschland nimmt sich alles
nimmt sich alles in der Welt
Ohne Maß bis an den Kreml
Bis es dann zusammenfällt.

(Knopp / Kuhn 1988, S. 91 )

Nach 1945 verboten die Alliierten das Spielen und Singen des Horst-Wessel-Liedes und des Deutschlandliedes. Als problematisch galten und gelten nicht nur die ersten zwei Zeilen der ersten Strophe, sondern vor allem auch die Grenzziehung: Maas, Etsch und Belt markierten 1841 die Grenzen eines Staatenpaktes namens „Deutscher Bund“, wobei die Memel schon außerhalb dieser Grenzen lag, aber zu Preußen gehörte. Dieser historische Bezug wird aber überlagert durch die Erinnerung an Hitlers aggressive Expansionspolitik. „Dies wäre wohl vermieden worden, wenn die verpönte erste Strophe nur die Nachkriegsgrenzen beider deut­scher Staaten nennen würde. Warum nicht ‚von der Maas bis an die Oder, von den Alpen bis zum Belt‘?“ (Knopp Kuhn 1988, S. 14). Solche pragmatischen Überlegungen fanden nach 1945 nicht statt, man wollte anscheinend den „authentischen“ Text bewahren. Andere Natio­nen hatten bei Textänderungen weniger Bedenken: Die französische Hymne wurde mehrfach umgedichtet, ebenso die sowjetische u.v.a.

Schon vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland am 20. September 1949 gab es viele Diskussionen und Auseinandersetzungen um das „Lied der Deutschen“ als Staatssymbol des neuen demokratischen Staates. Im Artikel 22 des Grundgesetzes vom 25. Mai 1949 ist nur die Bundesflagge „Schwarz-Rot-Gold“ festgelegt; die Frage der Nationalhymne wurde ausge­spart. Für viele Parlamentarier blieb das „Deutschland über alles“ – trotz aller gutge­meinten Deutungen – zu missverständlich.

Es gab starke Einwände gegen das Deutschlandlied, weil es im „Dritten Reich“ missbraucht worden war. Ein ehemaliger Häftling, der Publizist Axel Eggebrecht, erinnerte sich: „Im KZ mußten wir die heiligen Worte Recht und Freiheit nach Kommando herausbrüllen. Wächter mit Knüppeln umstanden uns, brüderliche Gesangslehrer. Und da sollen wir nun wieder sin­gen, als sei nichts gewesen?“ (Knopp / Kuhn 1988, S. 108 ).

Dass eine Nationalhymne nach 1945 fehlte, machte sich u.a. bei internationalen Sportveran­staltungen bemerkbar. Offiziell vorgesehen war für solche Gelegenheiten Schiller/Beethovens „Freude, schöner Götterfunken“. Es kam aber auch vor, dass anstelle einer Hymne der Kölner Karnevalsschlager von 1948 „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“ gespielt wurde oder aber „In Mün­chen steht ein Hofbräuhaus“ und bei Auftritten Konrad Adenauers „Heide­witzka, Herr Kapi­tän“.

In der BRD setzte sich Bundeskanzler Adenauer für das „Lied der Deutschen“ ein, ebenso der Vorsitzende der SPD Kurt Schumacher – im Gegensatz zu den meisten SPD-Mitgliedern. Der damalige Bundespräsident Theodor Heuss (FDP) hatte Bedenken. Im August 1950 ließ er mitteilen, dass bis zum Vorliegen einer neuen deutschen Nationalhymne das Lied „Ich hab mich ergeben“ gesungen werden solle (Knopp / Kuhn 1988, S. 104). Heuss wünschte sich eine neue Nationalhymne. In einem Schreiben vom September 1950 an Carl Orff (den Heuss als Komponist einer neuen Nationalhymne auserkor, der lehnte aber ab) äußerte er die folgen­den Bedenken gegenüber Hoffmann von Fallerslebens Text:

„... die erste Strophe paßt nicht mehr in die geschichtliche Landschaft, die zweite ist zu trivial und immer trivial gewesen, die dritte allein für sich wenig. Die mannigfaltigen Versuche, auf die Haydnsche Melodie einen neuen Text zu stülpen, halte ich für aussichtslos. Ich glaube, die Deutschen genug zu kennen, um zu wissen, daß dann die ‚loyalen‘ Patrioten den sogenannten amtlichen Text, die ‚militanten‘ Patrioten ... den Hoffmannschen Text singen, und wir kom­men aus dem ewigen Sängerwettstreit der stärkeren Stimmen nicht heraus“ (Knopp / Kuhn 1988, S. 105).

Heuss schlug ein Lied als neue Nationalhymne vor, dessen Text von Rudolf Alexander Schröder (geb. 1878) gedichtet und dessen Melodie von Hermann Reutter komponiert worden war. Schröders „Hymne an Deutschland“ lautete:

Land des Glaubens, deutsches Land,
Land der Väter und Land der Erben,
Uns im Leben und im Sterben
Haus und Herberg, Trost und Pfand.
Sei den Toten zum Gedächtnis,
den Lebendgen zum Vermächtnis,
Freudig von der Welt bekannt,
Land des Glaubens, deutsches Land.

(Knopp / Kuhn 1988, S. 104 )

Bundeskanzler Adenauer rief heftige Reaktionen im In- und Ausland hervor, als er am 18. April 1950 anläßlich eines Besuchs in Berlin bei einer Kundgebung im Titania-Palast die dritte Strophe „Einigkeit und Recht und Freiheit“ anstimmte. Er wollte eine Entscheidung in der Hymnenfrage provozieren (Ragozat 1982, S. 62). Adenauer forderte die Versammlung zum Mitsingen auf. Der Parteivorstand der SPD verließ den Raum, während die drei West­berliner Kommandanten sich von ihren Sitzen erhoben. Im Ausland gab es Kritik an Adenau­ers Vorgehen.

Noch wollte Heuss das Lied von R.A. Schröder und Hermann Reutter „Land des Glaubens“ als Bundeshymne durchsetzen. Zum Jahreswechsel 1950/51 erklang dieses Lied nach der Rundfunkansprache des Staatsoberhauptes über alle westdeutschen Sender. Die Öffentlichkeit blieb reserviert. Der Dichter Gottfried Benn schrieb: „Und nun die neue Nationalhymne. Der Text ganz ansprechend, vielleicht etwas marklos. Der nächste Schritt wäre dann ein Kanin­chenfell als Reichsflagge“ (Knopp / Kuhn 1988, S. 107). Die „Frankfurter Rundschau“ sah sich erinnert an Gesänge der Hitlerjugend zu Morgenfeiern und Sonnwendfeiern, wohl auch, weil R. A. Schröder eine NS-Vergangenheit hatte .

In seinem Brief an Adenauer vom 2. Mai 1952 gab Heuss schließlich nach: „Als mich die Frage nach einer Nationalhymne bewegte..., glaubte ich, daß der tiefe Einschnitt in unserer Volks- und Staatsgeschichte einer neuen Symbolgebung bedürftig sei... Ich weiß heute, daß ich mich täuschte... Ich habe den Traditionalismus und sein Beharrungsbedürfnis unter­schätzt“ (Knopp / Kuhn 1988, S. 110). Der Bundespräsident erklärte sich bereit, unter Ver­zicht auf eine feierliche Proklamation der Bitte der Bundesregierung um Wiedereinführung des ‚Deutschlandliedes‘ als Staatssymbol der Bundesrepublik Deutschland zu entsprechen (Ragozat 1982, S. 63; Knopp /Kuhn 1988, S. 110). Als Stunde der Wiedergeburt gilt der 6. Mai 1952. An diesem Tag veröffentlichte das Presse- und Informationsamt der Bundesregie­rung eine Erklärung (Wortlaut siehe Ragozat 1982, S. 63). Es wurde darin betont, daß bei staatlichen Veranstaltungen die dritte Strophe gesungen werden solle, obgleich alle Strophen des Liedes als Nationalhymne anerkannt seien. Diese Regelung – dass zwar alle Strophen als Nationalhymne anerkannt sind, jedoch bei staatlichen Veranstaltungen nur die dritte Strophe gesungen werden solle – führte immer wieder zu Irritationen; immer wieder war es die erste Strophe, die Anstoß erregte.

In den langjährigen Diskussionen wies die parlamentarische Opposition auf die unangeneh­men Erinnerungen hin, die das Deutschlandlied durch seine Verwendung im „Dritten Reich“ bei vielen hervorrief, doch ging die SPD nach und nach dazu über, die Hymne zu tolerieren. Im Ausland waren die Reaktionen geteilt. Im Ostblock gab es scharfe Ablehnung, während die drei Hohen Kommissare in Bonn übereinstimmend erklärten, es sei „deutsche Angelegen­heit, die Nationalhymne zu bestimmen“. Der amerikanische Hohe Kommissar McCloy meinte. es sei nicht entscheidend, was die Völker singen, sondern wie sie handeln (Knopp / Kuhn 1988, S. 113 f.).

Es gab bis in die sechziger Jahre keine getrennten Olympiamannschaften der BRD und der DDR, sondern nur eine gesamtdeutsche Mannschaft. Daher mussten bei den Olympiaden in Rom 1960 und Tokio 1964 Kompromisse gefunden werden: Die deutschen Sportler wurden damals mit Beethovens Hymne „An die Freude“ geehrt. Erst seit 1968 traten auf Beschluss des Olympischen Komitees die Sportler aus der Bundesrepublik Deutschland und der DDR mit eigener Flagge und Hymne an.

Auch nachdem das Deutschlandlied seit 1952 offizielle Hymne war, gab es weiterhin zahlrei­che Auseinandersetzungen. Das zeigt z.B. seine Behandlung in den Funkhäusern der einzel­nen ARD-Anstalten. Anfang 1974 erklang die dritte Strophe nur noch am Sendeschluss im Bayerischen und Hessischen Rundfunk und im Sender Freies Berlin. Der Westdeutsche Rund­funk hatte zu dieser Zeit die Ausstrahlung der Hymne eingestellt, nahm sie bald aber wieder im dritten Programm auf (Knopp / Kuhn 1988, S. 124). 1977 regte Bundespräsident Walter Scheel an, im Fernsehen an vier herausgehobenen Tagen des Jahres das Deutschlandlied zu spielen: am 23. Mai, dem Tag der Verabschiedung des Grundgesetzes (Verfassungstag); am 17. Juni, dem Tag der deutschen Einheit; am 20. Juli, dem Gedenktag für die Widerstands­kämpfer gegen das Naziregime; am Volkstrauertag (2 Sonntage vor dem 1. Advent). Am 8. März 1985 votierte der Fernsehrat des ZDF einstimmig für die tägliche Ausstrahlung der Na­tionalhymne zum Programmschluss; kurz darauf folgte die ARD.

In den Schulen gehört die dritte Strophe des Deutschlandliedes zu den für das 4. Schuljahr verbindlichen Lerninhalten. Auch hier erregte die erste Strophe mehrmals Anstoß: So gab es im Frühjahr 1978 in Baden-Württemberg einen Parteienstreit, als der damalige Ministerpräsi­dent Filbinger an alle Schulen des Landes eine mit allen drei Strophen besungene Schallplatte, dargeboten von dem Sänger Heino, schicken wollte. In Berlin gab es Ärger, als der Charlot­tenburger Volksbildungsstadtrat Roeseler die drei Strophen des Deutschlandliedes an die Leh­rer mit der Anweisung schickte, den Text allen Kindern des Bezirks in den vierten Klassen bekannt zu machen. Es gab Proteste von SPD- und FDP-Stadträten, die Gewerkschaft Erzie­hung und Wissenschaft reichte Klage ein (Knopp / Kuhn 1988, S. 126 f.). Stein des Anstoßes war dabei die belastete erste Strophe.

Ein Briefwechsel zwischen Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Bundeskanzler Helmut Kohl vom August 1991 legte für das wiedervereinte Deutschland fest, dass seit dem 3. Oktober 1990 die Nationalhymne der bisherigen Bundesrepublik – reduziert auf ihre dritte Strophe – „für das vereinte deutsche Volk gilt“. Die erste Strophe ist nicht verboten, jedoch bei staatlichen Anlässen verpönt.

Aber nicht erst seit 1945, sondern von Anfang an war das „Deutschlandlied“ umstritten. Schon Friedrich Nietzsche äußerte dazu: „...die blödsinnigste Parole, die je gegeben worden ist“ (Ragozat 1982, S. 61). Der Historiker Golo Mann hingegen nannte den Text „zarteste Lyrik“ (Knopp/ Kuhn 1988, S. 7). Er betont, daß andere Hymnen viel aggressiver seien: Die Marseillaise strotze geradezu vor Militarismus. Da werde „zu den Waffen“ gerufen, da spritze Blut („Qu’un sang impur abreuve nos silons“ – „Das unreine Blut tränke unserer Äcker Fur­chen“), werde den Feinden Frankreichs Rache angedroht. In der US-Hymne läßt Autor Fran­cis Scott Key das Sternenbanner wehen – „hoch und tapfer“, „unter den Blitzen der Schlacht“.

Das Deutschlandlied „ist ein Paradebeispiel dafür, daß es keinen Text an sich gibt, sondern nur einen Text, der von ganz bestimmten Lesern (Sängern) mit einem ganz bestimmten Er­wartungshorizont verwendet wird ... Jede Epoche der deutschen Geschichte sang mit densel­ben Worten ein anderes Lied“ (Kurzke 1990, S. 50).

Horst-Wessel-Lied („Die Fahne hoch“)

Literatur:

Ulrich Günther: „...über alles in der Welt?“ Studien zur Geschichte und Didaktik der deut­schen Nationalhymne. Neuwied und Berlin 1966
Guido Knopp / Ekkehard Kuhn: Das Lied der Deutschen. Schicksal einer Hymne. Berlin, Frankfurt am Main 1988
Hermann Kurzke: Hymnen und Lieder der Deutschen. Mainz 1990
Imre Lazar: Der Fall Horst Wessel. Stuttgart und Zürich 1980
Joseph Wulf: Musik im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Gütersloh 1963

Tonträger, Fernsehsendungen:

CD „Hymnen der Deutschen“. Stimmen des 20. Jahrhunderts. Deutsches Historisches Mu­seum, Deutsches Rundfunkarchiv 1998
„Verklärt, verhaßt, vergessen“ – Horst Wessel. Film von Ernst-Michael Brandt. mdr 1997

Am 27. März 1933 bestimmte der damalige bayerische Kulturminister Hans Schemm, das Horst-Wessel-Lied solle in allen Schulen des Landes Bayern neben dem Deutschlandlied ge­sungen werden. Später wurden das Deutschland- und das Horst-Wessel-Lied im gesamten Deutschen Reich eine untrennbare Einheit. Seit 1940 war es Vorschrift, bei offiziellen Anläs­sen nach dem Deutschlandlied das Horst-Wessel-Lied zu spielen. In vielen Liederbüchern des „Dritten Reichs“ erscheinen beide Hymnen am Beginn (z.B. im SA-Liederbuch, 1939; SS-Lie­derbuch, 1937; Liederbuch der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“, 1936) oder am Schluss (Liederbuch der deutschen Soldaten, 1939). Welche besondere Bedeutung dem Sin­gen des Horst-Wessel-Liedes zukam, zeigt sich u.a. in einer Anweisung in dem Liederbuch „Singkamerad“ (2. Aufl. München 1934): „Die 1. Und 4. Strophe dieses neuen deutschen Weiheliedes werden mit erhobenem rechten Arm gesungen.“

Wie wichtig dem Regime beide Hymnen waren, zeigt auch eine spätere Anweisung, wie beide Lieder zu spielen seien: In den Amtlichen Mitteilungen der Reichsmusikkammer vom 15.2.1939 hieß es: „Der Führer hat entschieden, daß das Deutschlandlied als Weihelied im Zeitmaß ¼ = M 80 zu spielen ist, während das Horst-Wessel-Lied als revolutionäres Kampf­lied schneller gespielt werden soll“ (Wulf 1963, S. 128).

Horst Wessel, war ein Berliner SA-Sturmführer. Das nach ihm benannte Lied schrieb er 1927 (nach anderen Zeugnissen 1929) für seinen SA-Sturm.

Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen
SA marschiert mit ruhig festem Schritt
Kam’raden, die Rotfront und Reaktion erschossen
Marschieren im Geist in unsern Reihen mit.
Die Straße frei den braunen Bataillonen
Die Straße frei dem Sturmabteilungsmann
Es schau’n aufs Hakenkreuz voll Hoffnung schon Millionen
Der Tag für Freiheit und für Brot bricht an.
Zum letztenmal wird nun Appell geblasen
Zum Kampfe stehen wir alle schon bereit
Bald flattern Hitlerfahnen über allen Straßen
Die Knechtschaft dauert nur noch kurze Zeit.

1929 erschien das Lied erstmals im Druck; seit 1930 findet es sich in Liederbüchern der NSDAP – wobei es im Laufe der Jahre einige Textänderungen gab (s. Kurzke 1990, S. 133). So wurden einige kämpferische Formulierungen später, als die NSDAP Regierungspartei war, eliminiert.

Horst Wessel wurde 1907 als Sohn eines Pfarrers in Bielefeld geboren. Er studierte Jura an der Berliner Universität und wurde Mitglied einer studentischen Verbindung. 1926, im Alter von 19 Jahren, trat er der NSDAP und der SA bei. 1930 starb er im Alter von 23 Jahren, laut NS-Diktion nach einem Straßenkampf mit Kommunisten. Tatsächlich jedoch wurde Wessel Opfer einer Schießerei aus mehr privatem als politischem Anlaß. Wessel wurde dabei schwer verletzt und starb nach einigen Tagen.

Mit Wessels frühem Tod begann die Karriere des Liedes. Ihm wurde mit viel propagandisti­schem Aufwand der Glorienschein einer Hymne der nationalsozialistischen „Bewegung“ ver­liehen. Der Autor, seine Biographie und die Entstehungsgeschichte des Liedes wurden ver­fälscht, idealisiert, und so avancierte das Lied zu einer Art nationalsozialistischem Glaubens­bekenntnis. Der damalige Gauleiter der NSDAP von Berlin, Joseph Goebbels, war es, der in Wessels Tod die Chance witterte, „einen Märtyrer zu schaffen. Er erhob den Toten zum ‚Blutzeugen der nationalsozialistischen Bewegung‘. Bei seiner Beisetzung wurde das Lied zum erstenmal öffentlich gesungen, verbreitete sich rasch im ganzen Reich und wurde Kult­gesang der braunen Kolonnen“ (Knopp / Kuhn 1988, S. 86 ).

Zur Herkunft der Melodie des Horst-Wessel-Liedes gibt es viele unterschiedliche Vermutun­gen und Behauptungen. Kurzke hält eine Beziehung zur Tradition sozialistischer Arbeiterlie­der für wahrscheinlich. „Da relativ viele nationalsozialistische Lieder aus kommunistischen Arbeiterliedern entstanden sind, wäre das nicht ungewöhnlich“ (Kurzke 1990, S. 129). In den NS-Liederbüchern finden sich zur Herkunft der Melodie des Horst-Wessel-Liedes folgende Angaben: „Horst Wessel“, „Volksweise“ oder „nach einem alten Soldatenlied“.

Das Horst-Wessel-Lied wurde häufig parodiert. Die bekannteste Parodie ist der „Kälber­marsch“ aus Bertolt Brechts „Schweyk im zweiten Weltkrieg“ (1943). „Der Dicke“ singt in der 7. Szene die folgende Variante des Liedes:

Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen,
SA marschiert mit ruhig festem Schritt,
Kameraden, deren Blut vor unserm schon geflossen,
sie ziehn im Geist in unsern Reihen mit.

Schweyk kontert mit dem „Kälbermarsch“, den er zu der Begleitung einer Militärkapelle singt, „und zwar so“, wie es in den szenischen Anweisungen heißt, „daß er den Refrain zu der Melodie singt, die Vorstrophen aber zu den Trommeln dazwischen“ (Brecht, Schweyk):

Hinter der Trommel her
Trotten die Kälber
Das Fell für die Trommel
Liefern sie selber.
Der Metzger ruft. Die Augen fest geschlossen
Das Kalb marschiert mit ruhig festem Tritt.
Die Kälber, deren Blut im Schlachthof schon geflossen
Sie ziehn im Geist in seinen Reihen mit.
Sie heben die Hände hoch
Sie zeigen sie her
Sie sind schon blutgefleckt
Und sind noch leer.
Der Metzger ruft
...

Sie tragen ein Kreuz voran
Auf blutroten Flaggen
Das hat für den armen Mann
Einen großen Haken
Der Metzger ruft
...

Es gibt weitere Parodien des Horst-Wessel-Liedes: siehe z. B. Inge Lammel, Das Arbeiterlied, Frankfurt am Main 1973, S. 205 f.

1945 wurde das Horst-Wessel-Lied zusammen mit dem Deutschlandlied vom Alliierten Kon­trollrat verboten.

Die Nationalhymne der DDR („Auferstanden aus Ruinen“)

Literatur:

100 Jahre Deutsches Arbeiterlied. Eine Dokumentation. 2 LPs + Textheft. Eterna 810015-016
Ulrich Günther: ... über alles in der Welt? Studien zur Geschichte und Didaktik der deutschen Nationalhymne. Neuwied und Berlin 1966
Guido Knopp / Ekkehard Kuhn: Das Lied der Deutschen. Schicksal einer Hymne. Berlin, Frankfurt am Main 1988

Hermann Kurzke: Hymnen und Lieder der Deutschen. Mainz 1990

Leben Singen Kämpfen. Liederbuch der deutschen Jugend. Hg. vom Zentralrat der Freien Deutschen Jugend. Berlin/DDR 1958

Ulrich Ragozat: Die Nationalhymnen der Welt. Ein kulturgeschichtliches Lexikon. Freiburg i.Br. 1982

Tonträger:

CD „Arsch huh, Zäng ussenander!“ Kölner Musiker gegen Rassismus und Neonazis. Köln, EMI, 1992
CD „Dem Morgenrot entgegen“. Edition BARBArossa 1995
CD „Hymnen der Deutschen“. Stimmen des 20. Jahrhunderts. Deutsches Historisches Mu­seum, Deutsches Rundfunkarchiv 1998

Seit 1949 gab es zwei deutsche Staaten, die ihre politischen und ideologischen Gegensätze stark betonten. Die Unterschiede drückten sich auch in verschiedenen Staatssymbolen aus. Die Flagge der DDR war wie die der Bundesrepublik schwarz-rot-gold, doch wurde sie mit Hammer und Sichel im Ährenkranz versehen. Bei der Wahl einer Nationalhymne versuchte die DDR, die Last der Tradition abzustreifen – im Unterschied zur Bundesrepublik, in der das „Lied der Deutschen“ nach vielen Debatten wieder als Nationalhymne eingeführt wurde. Für die DDR gab es eine neue Nationalhymne, verfasst von Johannes R. Becher und Hanns Eisler. Offizielle Gültigkeit erlangte diese 1944 bzw. 1949 komponierte Nationalhymne durch einen Beschluss des Ministerrates der Regierung am 5. November 1949.

Hanns Eisler: geb. 1898, gest. 1962. War in Wien Kompositionsschüler von Arnold Schön­berg. Übersiedelte 1924 nach Berlin. Nach Hitlers Machtergreifung ging er ins Exil, 1938 in die USA, wo er 1948 aus politischen Gründen ausgewiesen wurde. Nach einem zweijährigen Aufenthalt in Wien zog Eisler 1950 in die DDR. Für die gemeinsam mit Johannes R. Becher verfasste Nationalhymne erhielt er 1950 den Nationalpreis der DDR.

Ragozat schreibt über Eisler: „Der Komponist gilt als einer der prominentesten Vertreter mas­senwirksamer Musikgestaltung in der DDR“ (Ragozat 1982, S. 73). Und zur musikalischen Ge­staltung der Hymne meint Ragozat: „In Melodieoriginalität und der einfachen, harmoni­schen Ausformung ist von Eislers Schülerschaft bei Schönberg nicht viel zu spüren“ (Ragozat 1982, S. 73). Ragozat scheint Eislers Kompositionen nicht zu kennen und ist evtl. beeinflusst von der in der BRD während des Kalten Krieges verbreiteten einseitigen Festlegung Eislers auf einige wenige „Kampflieder“ und die Nationalhymne der DDR. Auch in der DDR gab es eine Blickverengung auf Eislers kompositorisches Schaffen: Inge Lammel z.B. lässt in „Kampfge­fährte – unser Lied“ wichtige Fakten aus Eislers Biographie unerwähnt, z. B. den Unterricht bei Arnold Schönberg und das amerikanische Exil.

Johannes R. Becher, der Textverfasser, wurde 1891 in München geboren. Durch die Erfah­rungen des Ersten Weltkriegs wurde er Pazifist. 1923 trat er in die KPD ein. Er wurde Re­dakteur der „Roten Fahne“. Während des „Dritten Reichs“ wurde Becher aus Deutschland ausgebürgert. Im sowje­tischen Exil arbeitete er von 1935 bis 1945 als Redakteur in Moskau. 1945 kehrte er nach Deutschland zurück. In der DDR wurde er 1954 Minister für Kultur. Er starb 1958 in Berlin.

Es heißt, „Auferstanden aus Ruinen“ sei unmittelbar nach der Gründung der DDR auf Wunsch des damaligen Staatspräsidenten Wilhelm Pieck verfasst worden. Hinsichtlich des Entstehungsdatums gibt es jedoch voneinander abweichende Angaben. Ulrich Günther nennt für den Text das Entstehungsjahr 1942, für die Melodie 1944. Auch Knopp / Kuhn geben 1942 als Entstehungsjahr des Textes an, während Ragozat das Entstehungsjahr 1942 für un­wahrscheinlich hält, denn es habe zu diesem Zeitpunkt noch keinen Grund gegeben, „Aufer­standen aus Ruinen“ zu singen (Ragozat 1982, S. 74). Kurzke hebt hervor, dass Becher im Moskauer Exil zahlreiche Deutschlanddichtungen geschrieben habe. (Es ist bekannt, daß sich viele Emigranten im Exil intensiv mit Deutschland und ihrer möglichen Rückkehr nach der Befreiung vom Nationalsozialismus beschäftigten.) Als Becher im Juni 1945 als einer der ersten Exilanten in die verwüstete Heimat zurückkehrte, hätten sich „in seinem Gepäck ... vielerlei programmatische Vorarbeiten für den geistigen Wiederaufbau“ Deutschlands gefun­den (Kurzke 1990, S. 154 ).

Nach Knopp / Kuhn schrieb Becher in Moskau folgendes Gedicht:

Auferstanden aus Ruinen
Und der Zukunft zugewandt,
Laß uns Dir zum Guten dienen,
Deutschland unser Vaterland
Deine Einheit zu erringen,
Haben wir uns fest geeint,
Alte Not gilt es zu zwingen,
Daß die Sonne, daß die Sonne
Über Deutschland scheint.

(Knopp / Kuhn 1988, S. 98 )

Später nahm Becher verschiedene Textänderungen vor. 1949 übersandte er dem Komponisten Ottmar Gerster seinen Text mit der Bitte um eine Vertonung. Kurze Zeit danach traf Becher Hanns Eisler bei einer Goethe-Feier in Warschau und erzählte ihm von Piecks Auftrag. Es wird erzählt, Eisler habe sich – im Geburts- und Wohnhaus Frédéric Chopins! – sofort an den Chopin-Flügel gesetzt und aus dem Stegreif eine Melodie entworfen, die Becher gefallen habe (Knopp / Kuhn 1988, S. 99). Eine schöne Legende?

Die beiden Fassungen von Gerster und von Eisler wurden im November 1949 im Berliner „Club der Kulturschaffenden“ und später vor dem Politbüro der SED dargeboten. Die Melo­die von Eisler wurde in beiden Fällen bevorzugt. Am 7. November 1949, bei einer Feier zum 32. Jahrestag der Oktoberrevolution, sang der Chor des Berliner Rundfunks die Hymne erst­mals öffentlich.

Text der DDR-Hymne:

Auferstanden aus Ruinen
Und der Zukunft zugewandt,
Laß uns dir zum Guten dienen,
Deutschland, einig Vaterland.
Alte Not gilt es zu zwingen,
Und wir zwingen sie vereint,
Denn es muß uns doch gelingen,
Daß die Sonne schön wie nie
Über Deutschland scheint.
Glück und Frieden sei beschieden
Deutschland, unserm Vaterland.
Alle Welt sehnt sich nach Frieden,
Reicht den Völkern eure Hand.
Wenn wir brüderlich uns einen,
Schlagen wir des Volkes Feind!
Laßt das Licht des Friedens scheinen,
Daß nie eine Mutter mehr
Ihren Sohn beweint.
Laßt uns pflügen, laßt uns bauen,
Lernt und schafft wie nie zuvor,
Und der eignen Kraft vertrauend,
Steigt ein frei Geschlecht empor.
Deutsche Jugend, bestes Streben
Unsres Volks in dir vereint,
Wirst du Deutschlands neues Leben.
Und die Sonne schön wie nie
Über Deutschland scheint.

Der Text von Becher passte anfänglich noch in das Konzept der DDR-Führung, er war an das gesamte Deutschland gerichtet („einig Vaterland“). Seit 1972 jedoch hielt die Regierung unter Staats- und Parteichef Erich Honecker das Bekenntnis zu „Deutschland, einig Vaterland“ für nicht mehr tragbar, so dass der Wortlaut verschwand und die Hymne nur noch instrumental aufgeführt wurde. Verboten wurde der Text nicht, aber er wurde nicht mehr gesungen.

Wegen Eislers Melodie gab es Plagiatvorwürfe. Es hieß, sie würde sich an einen Schlager der vierziger Jahre anlehnen: In einem Film sang Hans Albers das von Peter Kreuder komponierte Lied „Good-bye, Jonny“ (s. Günther 1966, S. 4). Kreuder soll sich wegen der Urheberrechte sogar an die UNO gewandt haben (Ragozat 1982, S. 75). Es wird berichtet, daß Kreuder bei seiner DDR-Tournee 1976 das Publikum verunsichert habe, als er seinen Evergreen spielen ließ und sich die Zuhörer andächtig verhielten und von den Plätzen erhoben“ (Ragozat 1982, S. 75).

Die politischen Umwälzungen seit 1989 führten zu einer Wiederbelebung der Diskussion über eine zeitgemäße Deutschland-Hymne. Bechers Hymnentext wurde offiziell wieder zugelassen (Beschluss der Volkskammer der DDR am 3. Januar 1990). Die Textzeile „Deutschland, einig Vaterland“ wurde sogar einer der häufigsten Slogans in Sprechchören und auf Transparenten. Die „Auferstehung“ der DDR-Hymne im Jahr 1990 war jedoch nur von kurzer Dauer, denn am 3. Oktober 1990 wurde sie durch die Hymne der Bundesrepublik „abgewickelt“.

In den neunziger Jahren entstanden auch einige Kompositionen, in denen versucht wurde, verschiedene Hymnen miteinander zu verbinden, was nicht selten zu politischen Kontrover­sen führte. So gab aus Anlass der Feierlichkeiten zum Tag der deutschen Einheit 1998 in Hanno­ver die Niedersächsische Landesregierung an den Berliner Komponisten Bardo Hen­ning ein Werk in Auftrag. Dessen Idee, beide Hymnen, die in den letzten 40 Jahren in beiden Teilen Deutschlands verschiedene Wertsysteme repräsentiert hatten, musikalisch zu vereinen und darüber hinaus mit dem Schlager „Good-bye, Jonny“ zu verbinden, löste einen Streit zwi­schen den Parteien und Ländern aus, auch der Kanzler äußerte sich ablehnend, und der Kon­flikt gipfelte in der Absage des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, an den Fei­erlichkeiten zum Tag der deutschen Einheit teilzunehmen.

Als am 14. Juni 1994 Bundeskanzler Kohl in Bonn das „Haus der Geschichte der Bundesre­publik Deutschland“ eröffnete, das die Historie beider deutscher Staaten dokumentieren sollte, spielte das Bundesjazzorchester (BuJazzO) unter großem Beifall ein Arrangement des Bandleaders Peter Herbolzheimer, das aus der Europahymne, dem Deutschlandlied und der Hymne der DDR bestand und das bereits 1989 im Rahmen einer Deutschland-Revue erstmals öffentlich aufgeführt worden war.


Die Internationale

Literatur:

Hermann Kurzke: Hymnen und Lieder der Deutschen. Mainz 1990
Inge Lammel: Das Arbeiterlied. Leipzig 1975
Inge Lammel: Arbeitermusikkultur in Deutschland 1844-1945. Leipzig 1984
Walter Moßmann / Peter Schleuning: Alte und neue politische Lieder. Reinbek 1978

Tonträger:

CD „Dem Morgenrot entgegen“. Edition BARBArossa 1995
100 Jahre Deutsches Arbeiterlied. Eine Dokumentation. 2 LPs + Textheft. Eterna 810015-016
Karlheinz Stockhausen: „Hymnen“

Die „Internationale“ entstand zur Zeit der Pariser Commune im Juni 1871 bzw. unmittelbar nach deren Sturz. Textverfasser war Eugène Pottier (1816-1887), tätig war als Packer, Deko­rationsmaler und Stoffmusterzeichner, bekannt auch als Chansonnier, Verfasser von Revuen, Schlagern und Singspielen für Vorstadttheater, der sich in der Arbeiterbewegung stark enga­gierte. Nachdem die Commune niedergeschlagen war, flüchtete er ins Ausland, kehrte aber nach der Amnestie 1880 nach Paris zurück und arbeitete dort weiterhin politisch. Pottier gilt als der produktivste und bekannteste Liedermacher der Commune. 1908 wurde auf dem Pari­ser Friedhof Père Lachaise unter großer Anteilnahme der Bevölkerung sein Denkmal enthüllt.

Die Melodie der „Internationale“ schrieb Pierre Degeyter (1848-1932) im Jahr 1888. Er war von Beruf Drechsler und tätig als Chormeister eines Arbeitergesangvereins in Lille. Die Ver­tonung soll im Juni 1888 erstmals öffentlich erklungen sein (Lammel 1975, S. 229). Die fran­zösischsprachige Urfassung (Kurzke 1990, S. 109 f.) hatte sechs Strophen, deren deutsche (wörtliche, nicht poetische) Übersetzung lautet:

Steht auf, Verdammte der Erde!
Steht auf, Galeerensklaven des Hungers!
Die Vernunft brodelt in ihrem Krater,
Das ist der endgültige Ausbruch.
Das Vergangene wollen wir ausmerzen,
Versklavte Masse, steh auf, steh auf!
Die Welt wird sich von Grund auf ändern:
Wir sind nichts, wir wollen alles sein!
Dies ist der letzte Kampf:
Schließen wir uns zusammen, und morgen
Wird die Internationale
Die menschliche Ordnung sein.
Es gibt keine höheren Retter:
Keinen Gott, keinen Cäsar, keinen Tribun,
Werktätige, retten wir uns selber!
Verordnen wir das Allgemeinwohl!
Damit der Dieb seine Beute wieder herausgibt,
Damit der Geist aus seinen Fesseln befreit wird,
Blasen wir selbst in unser Feuer,
Schmieden wir das Eisen, solange es glüht!
Dies ist der letzte Kampf...
Der Staat unterdrückt und das Gesetz betrügt;
Die Steuer läßt den Unglücklichen zur Ader;
Der Reiche hat keine Pflicht;
Das Recht der Armen ist ein leeres Wort.
Wir haben lange genug in der Unterdrückung geschmachtet.
Die Gleichheit will andere Gesetze,
„Keine Rechte ohne Pflichten, sagt sie,
Ebenso: Keine Pflichten ohne Rechte!“
Dies ist der letzte Kampf...
Scheußlich in ihrer Verklärung
Die Könige des Bergwerks und der Eisenbahn.
Haben sie etwas anderes getan,
Als die Arbeit auszuplündern?
In den Geldschränken der Bande
Ist das, was geschaffen wurde, zu Geld geworden.
Wenn das Volk beschließt, daß ihm zurückgegeben werden muß,
Will es nur haben, was ihm gehört.
Dies ist der letzte Kampf...
Die Könige benebeln uns mit Qualm,
Friede zwischen uns, Krieg den Tyrannen!
Wenden wir den Streik an in den Armeen.
Gewehrkolben nach oben, sprengen wir das Glied!
Wenn sie darauf bestehen, diese Kannibalen,
Aus uns Helden zu machen,
Werden sie bald erfahren, daß unsere Kugeln
Für unsere eigenen Generäle sind!
Dies ist der letzte Kampf...
Arbeiter, Bauern, wir sind
Die große Partei der Werktätigen;
Die Erde gehört nur den Menschen,
Die Müßiggänger sollen anderswo bleiben.
Wieviel weiden sich an unserem Fleisch!
Aber wenn die Raben und die Geier
Eines Morgens verschwunden sind,
Wird die Sonne immer scheinen.
Dies ist der letzte Kampf...

(Moßmann / Schleuning 1978, S. 178 ff.; Kurzke 1990, S. 120 f.)

Zum Titel des Liedes (s. Moßmann / Schleuning, S. 180): Er bezieht sich auf die „Internatio­nale Arbeiterassoziation“, die 1864 in London gegründet worden war und deren Gründungs­manifest und die Statuten Karl Marx verfaßt hatte. Mitglieder waren vor allem englische und französische Arbeiter, aber auch Vertreter aus Deutschland, Italien, Polen und der Schweiz. Pottier gehörte zu den französischen Sektionen. In ganz Frankreich hatte die Internationale 245 000 Mitglieder.

Das Lied wurde zunächst in den Pariser Sektionen der „Internationalen Arbeiterassoziation“ gesungen. Mitte der neunziger Jahre wurde es in Deutschland bekannt und es tauchte um 1907 erstmalig in deutschen Arbeiterliederbüchern auf – „um von den Polizeibehörden sofort kon­fisziert zu werden! Auch Gefängnisstrafen wurden für das öffentliche Singen der Interna­tio­nale verhängt“ (Lammel 1975, S 229).

Zur Melodie schreiben Mossmann und Schleuning: Sie „trägt wirklich alle Anzeichen des Außerordentlichen. Sie ist lang und differenziert, aus einem Guß, ohne schwache Stellen und verlegene Wendungen! Es ist, als ob hinter dieser Melodie ein erfahrener, feuriger Komponist stände, ein Verdi in seinen besten Jahren!“ Mossmann und Schleuning sehen Einflüsse fran­zösischer und italienischer Freiheitslieder, wie sie auch in vielen Opern der damaligen Zeit vorkamen (Mossmann / Schleuning 1978, S. 198 f.).

Im Laufe der Zeit entstanden zahlreiche melodische Varianten, die z. Tl. die differenzierte Melodie vereinfachten und glätteten (s. Moßmann / Schleuning 1978, S. 208 f.).

Zunächst war die „Internationale“ nur in Nordfrankreich bekannt, verbreitete sich aber gegen Ende des Jahrhunderts in ganz Frankreich und verdrängte bei den Sozialisten den Gesang der „Marseillaise“. Die weltweite Karriere des Liedes begann aber erst mit der Jahrhundertwende. In Deutschland erschienen seit 1901 verschiedene Textdrucke und Übersetzungen, 1910 der erste Notendruck, und zwar in einer Chorfassung (mit der Übersetzung Luckhardts) des für die Arbeiterchorbewegung wichtigen Komponisten und Dirigenten Adolf Uthmann.

Die „Internationale“ wurde nach der Oktoberrevolution Staatshymne der Sowjetunion. 1935 verschwand auf Druck Moskaus die fünfte Strophe aus der französischen Fassung (Einzel­heiten dazu s. Moßmann / Schleuning 1978, S. 182 und 185). „Man fürchtete offenbar, die Aufforderung, auf die eigenen Generäle zu schießen, könnte auf eine unerwünschte Weise konkretisiert werden“ (Kurzke 1990, S. 112). 1943 – in der Stalinära – erhielt die Sowjet­union eine neue Hymne, die kein Revolutionslied mehr ist, sondern ein Preislied der Heimat und des Vaterlandes mit einer choralartigen Melodie (Verfasser der Melodie: Alexander Ale­xandrow). Als Parteihymne blieb die „Internationale“ bestehen.

„Mit dem Vordringen der Internationale in andere Länder um 1900 ergab sich das Problem der Übersetzungen. Meist stellen die Übersetzungen Bearbeitungen dar, schon durch die häu­fige Reduzierung der Strophenzahl“ (Moßmann / Schleuning 1978, S. 183). In Deutschland entstanden mehrere Fassungen, die sich eine Zeitlang nebeneinander hielten; allmählich setzte sich in der deutschen Arbeiterbewegung die seit 1910 belegte Version von Emil Luckhardt durch:

Wacht auf, Verdammte dieser Erde,
die stets man noch zum Hungern zwingt
Das Recht wie Glut im Kraterherde
Nun mit Macht zum Durchbruch dringt.
Reinen Tisch macht mit dem Bedränger!
Heer der Sklaven, wache auf!
Ein Nichts zu sein, tragt es nicht länger,
alles zu werden, strömt zuhauf!
Völker, hört die Signale!
Auf zum letzten Gefecht!
Die Internationale
Erkämpft das Menschenrecht!
Es rettet uns kein höh'res Wesen,
kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun.
Uns aus dem Elend zu erlösen,
können wir nur selber tun!
Leeres Wort: des Armen Rechte!
Leeres Wort: des Reichen Pflicht!
Unmündig nennt man uns und Knechte,
duldet die Schmach nun länger nicht!
Völker, hört...
In Stadt und Land, ihr Arbeitsleute,
wir sind die stärkste der Partei'n.
Die Müßiggänger schiebt beiseite!
Diese Welt muß unser sein;
Unser Blut sei nicht mehr der Raben
Und der nächt'gen Geier Fraß!
Erst wenn wir sie vertrieben haben,
dann scheint die Sonn' ohn' Unterlaß!
Völker, hört...

„Gegenüber dem Urtext kommt es zu einer Aufweichung der aggressiven Frontstellung im Sinne einer Verallgemeinerung, einer Romantisierung und einer Verbürgerlichung. Die radi­kalsten Partien fehlen“ (Kurzke 1990, S. 116). „Eine solche Romantisierungstendenz zeigt auch die gleichwohl sehr effektvolle Übersetzung des Refrains. Ein ‚letztes Gefecht‘ erinnert metaphorisch an vorindustrielle Treffen mit Degen und Säbel... Auch die im französischen Text fehlenden ‚Signale‘ (wohl Trompeten- oder Hornsignale) erinnern eher an Feldzüge der Feudalzeit als an moderne Arbeitskämpfe. Außerdem schwingt immer etwas Apokalyptisches mit bei der Vorstellung eines ‚letzten Gefechts‘, als werde danach endgültig die Heilszeit aus­brechen... Das ‚Menschenrecht‘ im deutschen Text ist eine Forderung der bürgerlichen, nicht speziell der proletarischen Revolution“ (Kurzke 1990, S. 116 f.).

Die Fassung von Luckhardt hat viele altertümliche sprachliche Wendungen. Es gab mehrere Versuche, die „Internationale“ neu zu übersetzen, so etwa von Erich Weinert (1890-1953). Als Weinert 1937 am Spanischen Bürgerkrieg teilnahm, schrieb er eine sechsstrophige Neu­fassung (s. Mossmann / Schleuning 1978, S. 191 f.), deren Refrain lautet:

Zum letzten Kampf! Ihr alle,
Ihr Völker im Verein!
Die Internationale
Wird alle Menschheit sein!

Mossmann / Schleuning halten diese Übersetzung für „hervorragend“, allerdings erfordere sie eine neue Melodie, denn sie passe schlecht auf die alte.

In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts erklang die „Internationale“ bei vielen Demon­strationen der Linken, im allgemeinen begleitet von einer Schalmeienkapelle. Mit dem Erstar­ken des Faschismus bzw. Nationalsozialismus gab es Versuche, durch Umtextierungen das ursprüngliche Lied zu verdrängen, so etwa mit der folgenden „Hitlernationale“ aus dem Jahr 1930 (gedruckt in „Deutschland erwache. Das kleine Nazi-Liederbuch“. 23. Auflage, Sulz­bach [1931]):

Auf Hitlerleute, schließt die Reihen,
zum Rassenkampf sind wir bereit.
Mit unserem Blut wollen wir das Banner weihen,
Zum Zeichen einer neuen Zeit.
Auf rotem Grund in weißem Felde
Weht unser schwarzes Hakenkreuz.
Schon jubeln Siegessignale
Schon bricht der Morgen hell herein,
Der nationale Sozialismus
Wird Deutschlands Zukunft sein!
etc.

(Kurzke 1990, S. 124 f.)

Die Glanzzeit der „Internationale“ in Deutschland waren die Jahre nach der Oktoberrevolu­tion bis 1933, als die Nationalsozialisten das Lied verboten. Wer es dennoch wagte, es zu sin­gen, wurde mit Haft bestraft.

Eine wichtige Rolle spielte die „Internationale“ als Erkennungslied der internationalen Briga­den während des Spanischen Bürgerkriegs (1936–1939). 1938 erschien das von Ernst Busch herausgegebene Liederbuch des Spanischen Bürgerkriegs „Canciones de las Brigadas Interna­cionales“. Der Band enthielt Strophen der „Internationale“ in 14 verschiedenen Sprachen (s. Moßmann / Schleuning 1978, S. 254 ff.).

In der BRD wurde die „Internationale“ von der KPD und DKP tradiert. Eine Renaissance er­lebte sie in der Studentenbewegung. Zu einer Wiederbelebung kam es auch 1989. Die Hun­derttausende, die im Oktober 1989 in Leipzig demonstrierten, sangen die „Internationale“ – nicht für, sondern gegen den kommunistischen Staat. „Die singende Menge mißt den kommu­nistischen Staat an seiner eigenen Tradition und wendet sich gegen ihn. Der Bedränger ist nicht mehr der Kapitalist, sondern die Nomenklatura, und als Heer der Sklaven versteht sich das der Theorie nach längst befreite Volk. Wieder einmal ... zeigt sich, wie leicht sich die al­ten revolutionären Lieder gegen die zur Herrschaft gekommene Revolution wenden können“ (Kurzke 1990, S. 118 ).

Die „Internationale“ hat auch in verschiedene Kompositionen Eingang gefunden. So etwa bei Karl Amadeus Hartmann (s. Heister in: Die dunkle Last. Musik und Nationalsozialismus, hg. v. B. Sonntag, H.-W. Boresch, D. Gojowy, Köln 1999 ). – Karlheinz Stockhausen hat die „In­ternationale“ und einige Nationalhymnen in seiner Komposition „Hymnen“ (1967/68 ) verar­beitet.

„Lili Marleen“

Literatur:

Lale Andersen: Der Himmel hat viele Farben. Leben mit einem Lied. Stuttgart 1972
Hans Leip: Die Hafenorgel. Frankfurt am Main, Hamburg 1964. Neuausgabe München 1981
Hans Leip: Die wahre Geschichte der Lili Marleen. Berlin 1950
Rudolf Walter Leonhardt: Lieder aus dem Krieg. München 1979
Litta Magnus-Andersen: Lale Andersen – die Lili Marleen. München 1981
Werner Mezger: Schlager. Tübingen 1975. S. 134-138
Christian Peters: Lili Marleen. Ein Schlager macht Geschichte. Bonn 2001 (hier noch wei­tere Literaturangaben)

Wilhelm Schepping: Liedmonographie als „Liedbiographie“. Die Wirkungsgeschichte von „Lili Marlen“ als Paradigma. In: ad marginem 44/1979

Wilhelm Schepping: Zeitgeschichte im Spiegel eines Liedes. Der Fall „Lili Marleen – Ver­such einer Summierung. In: Festschrift für Ernst Klusen, hg. von Günther Noll u. Marianne Bröcker. Bonn 1984. S. 435-464

Norbert Schultze: Mit dir, Lili Marleen. Die Lebenserinnerungen des Komponisten Norbert Schultze. Zürich und Mainz 1995

Tonträger:

Schallplatten C 781, C 1192
CD 273 „Musik vom Deutschlandsender. Originalaufnahmen aus der Zeit von 1939 bis 1945“
CD-Cassette „Entartete Musik“, CD 4 „Widerstand“ (Lucie Mannheim mit Parodie).
CD „American War Songs 1933-1947 (CD ; darauf Marlene Dietrich mit „Lili Marleen“)
Doppel-CD „Lili Andersen" – Lale Marleen“. Die Geschichte einer Legende von Bettina Hindemith und Sabine Milewski. hr (audio)

1915, während des Ersten Weltkriegs, schrieb Hans Leip die erste Textfassung von „Lili Marleen“. Sie erschien 1937 um 2 Strophen erweitert in der Gedichtsammlung „Kleine Ha­fenorgel“. 1935 wurde das Lied als Chanson in einer – heute nicht mehr bekannten – Verto­nung von Rudolf Zink (1910–1983) in einem Schwabinger Kabarett dargeboten. Die Sängerin war Lale Andersen (1905–1972), die damals noch unter dem Namen Lieselotte Wilke auf­trat. 1938 entstand die Vertonung von Norbert Schultze. Der Komponist hatte den Text in Hans Leips „Kleiner Hafenorgel“ von 1937 gefunden.

Biographische Daten zu Norbert Schultze:

geb. 1911; Kindheit und Jugend in Braunschweig; seit 1929 Studium an der Kölner Musik­hochschule

1931 Umzug nach München, wo er 4 Jahre lang unter dem Pseudonym Frank Norbert in dem Studentenkabarett die „Vier Nachrichter“ gemeinsam mit Kurd E. Heyne, Bobby Todd und Helmut Käutner auftrat. In der Münchener Zeit lernte Schultze 1932 Lale Andersen kennen.

1936 komponierte Schultze die Oper „Schwarzer Peter“, die in der Hamburgischen Staatsoper uraufgeführt wurde und mit der er erfolgreich war. Später schrieb er noch weitere Opern.

Während des Krieges erhielt er die Gelegenheit, Filmmusiken zu komponieren. Der Regisseur Hans Bertram stellte im Auftrag des Luftfahrtministeriums den Propagandafilm „Feuertaufe“ her, zu dem Schultze Musik schrieb, u. a. das Lied „Bomben auf Engelland“ (Text: Wilhelm Stöppler), das ihm den Spitznamen „Bomben-Schultze“ einbrachte:

Wir fühlen in Horsten und Höhen
Des Adlers verwegenes Glück.
Wir stürmen zum Tor
Der Sonne empor.
Wir lassen die Erde zurück.
Kamerad! – Kamerad!
Alle Mädels müssen warten!
Kamerad! – Kamerad!
Der Befehl ist da: Wir starten!
Die Losung ist bekannt:
Bomben – Bomben –
Bomben auf Engelland!

(Schultze 1995, S. 69)

Schultze schrieb weitere Lieder für die Nazi-Propaganda.

1944 Mitarbeit Schultzes an dem UFA-Film „Kolberg“ mit dem Regisseur Veit Harlan.
1945 erhielt Schultze drei Jahre Berufsverbot. 1948 erfolgte seine formale „Entnazifizierung“.
1951 wanderte er mit seiner Familie nach Brasilien aus, kehrte aber schon nach einem Jahr nach Deutschland zurück. Produzierte nun wieder zahlreiche Filmmusiken, Lieder und Chan­sons.

„Lili Marleen“ war anfänglich nicht besonders erfolgreich. Beim Rundfunk wurde das Lied abge­lehnt, ebenso vom Verleger Sikorski. Schultze bot Liselotte Wilke, die sich inzwischen Lale Andersen nannte, seine Vertonungen aus der „Kleinen Hafenorgel“ an. Sie sang bald darauf die „Lili Marleen“ im Rundfunk. Bei der Plattenfirma ELECTROLA wurde das Lied schließ­lich akzeptiert: „Da die Wehrmacht anscheinend ‚stark im Kommen sei‘, habe das Kasernen­lied vielleicht eine Chance, wenn man es ‚Lied eines jungen Wachtpostens‘ nennt“ (Schultze 1995, S. 64 ). Die Aufnahme sollte mit einem preußischen Zapfenstreich beginnen, im Hinter­grund ein Soldatenchor, „dezenter Marschrhythmus“ (Schultze 1995, S. 64 ). (Das Arrange­ment stammte nicht von Schultze.) 1940 erschien „Lili Marleen“ im Druck in einem „hölzer­nen Klaviersatz“, wie Schultze schreibt, der „auch noch den Marschrhythmus von der ELECTROLA-Platte“ übernommen habe (vgl. die CD „Musik vom Deutschlandsender. Ori­ginalaufnahmen aus der Zeit von 1939 bis 1945“).

Seit dem Sommer 1941 gab es plötzlich und gänzlich unerwartet eine enorme Nachfrage nach „Lili Marleen“ bzw. dem „Lied eines jungen Wachtpostens“. Der Grund war, daß der Solda­tensender Belgrad (Welle 437,3) dieses Lied seit einiger Zeit sendete. Eine Gruppe junger Soldaten (im Zivilberuf Funktechniker vom Berliner Rundfunk) hatte im April 1941 den Auftrag erhalten, in Jugoslawien einen Soldatensender zu installieren. Im kriegszerstörten Belgrad errichteten sie einen Sendebetrieb. Einer von ihnen hatte aus Wien einen Stapel Schallplatten mitgebracht, darunter eine Aufnahme der „Lili Marleen“. Das „Lied eines jun­gen Wachtpostens“ mit dem Zapfenstreichsignal in der Aufnahme mit Lale Andersen erschien den Programmgestaltern als Sendeschluss besonders geeignet. Als es zeitweilig abgesetzt wurde, gab es Proteste. Da der Soldatensender Belgrad seine Feldpostnummer bekanntgab, kam jeden Tag mehr Post an, die erkennen ließ, dass die Sendung in vielen Ländern, sogar bei Rommels Truppen in Afrika, gehört wurde. „Das Lied trifft im dritten Kriegsjahr die armen Frontschweine mitten ins Herz!“ (Schultze 1995, S. 78 ) Es wurde zum „Symbol für Heim­weh, Trennung und Sehnsucht..., vor allem für Hoffnung auf Wiedersehen. Die Zeit – der Krieg, der immer furchtbarer wird, die Umstände haben das bewirkt“ (Schultze 1995, S. 78 ).

Aufgrund des großen Echos wurde beim Soldatensender Belgrad eine allabendliche Sendung mit dem Titel „Der junge Belgrader Wachtposten“ eingerichtet. Darin wurden Briefe von zu­hause an die Front und von der Front in die Heimat verlesen. Die Sendung endete kurz vor zehn Uhr mit Lale Andersens „Lili Marleen“. „Tatsächlich, Briefe bezeugen es, schwiegen während der Zeit die Waffen, und der Feind, erstmals in einem Kriege, hörte mit. ‚Überall in der Wüste‘, notierte ein britischer Kriegsberichter, ‚pfiffen englische Soldaten das Lied‘“ (DER SPIEGEL, Nr. 4/1981, S. 173). „In einer Zeit, wo man zuhause von denen da draußen oft nur die Feldpostnummer kennt, mehr nicht, ist diese Verbindung für viele Menschen oft die schnellste und sicherste, um persönliche Grüße und familiäre Nachrichten zu übermitteln“ (Schultze 1995, S. 80).

„Lili Marleen“ avancierte innerhalb von kurzer Zeit zum populärsten Schlager des Zweiten Weltkriegs. Das Lied übersprang politische Grenzen und feindliche Fronten, es wurde in viele Sprachen übersetzt. Die Bekanntheit von „Lili Marleen“ über nationale Grenzen hinweg wurde auch durch das Massenmedium Radio ermöglicht, das erstmals „mit in den Krieg ge­zogen“ war (DER SPIEGEL, Nr. 4/1981, S. 172).

„Lili Marleen“ wurde sowohl von Nazis als auch von deren Gegnern gesungen: Von den Na­zis wurde sie zeitweilig als Propagandamittel gebraucht, doch Goebbels brandmarkte sie als „defätistisch“ und „wehrkraftzersetzend“, konnte aber nicht verhindern, daß sie weiterhin ausgestrahlt und gesungen wurde. Zugleich faszinierte „Lili Marleen“ die Gegner der Natio­nalsozialisten. Die englische Fassung „Underneath the lantern“ sang Marlene Dietrich, die 1937 den Entschluß gefaßt hatte, nicht mehr nach Hitler-Deutschland zurückzukehren.

Mezger weist auf die merkwürdige Tatsache hin, daß „Lili Marleen“ „stets“ von Frauen ge­sungen wurde (was nicht ganz zutrifft, es gab auch männliche Sänger), „obwohl der In­halt des Liedes, in dem ein Soldat ein Mädchen besingt, eigentlich männliche Interpreten verlangt hätte“. Dazu schrieb Siegfried Schmidt-Joos: Im Zweiten Weltkrieg mußten Männer und Frauen voneinander getrennt leben, damals „schufen singende Frauen für die Männer so et­was wie eine Ersatzvorstellung: Ihre Fotos schmückten die Spindtüren und Bunkerwände der Soldaten. Ihre Stimmen waren im Ohr der Männer, wenn sie an daheim dachten“ (Schmidt-Joos: Geschäfte mit Schlagern, S. 41).

„Wann ... Forts. näch

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